Annebarbe Kau. Château d'eau
Von Peter Lodermeyer

I.
„Speichern – akkumulieren" lautet das Jahresthema des Einstellungsraums e.V. für 2016. Die Fähigkeit, Dinge aller Art zu sammeln, anzuhäufen, zu horten, zu bunkern, einzulagern ist eine der Grundlagen für das Entstehen und Funktionieren von Sozialität und Ökonomie. In unseren ökonomiezentrierten gegenwärtigen Gesellschaften beziehen sich nicht zufällig mehrere zentrale Debatten auf Speicherprobleme unterschiedlichster Art. So hört man immer wieder, dass die Energiewende nur gelingen könne, wenn das Problem gelöst wird, die von Wind- und Sonnenkraft erzeugte Energie in Großspeichern zurückzuhalten und bei Bedarf gezielt ins Stromnetz einzuspeisen. Eine seit Jahren kontroverse geführte Diskussion, bei der es letztlich um die gesellschaftlichen Grundwerte Freiheit und Sicherheit geht, dreht sich um die Vorratsdatenspeicherung – ein offensichtlicher Pleonasmus, denn wie könnte man anders speichern als auf Vorrat?


Das Vermögen des Speicherns ist viel älter als der Mensch. Schon im Tierreich, z. B. von Insekten, Vögeln und Nagetieren, werden Nahrungsvorräte angelegt. Das Wort Speicher, eine Eindeutschung des spätlateinischen spicarium, verweist zunächst auf das Grundnahrungsmittel Getreide. Im Grimmschen Wörterbuch wird Speicher als „ein vorratshaus für körnerfrucht in einem ländlichen anwesen“ definiert. Heute denkt man hingegen bei dem Wort als erstes an Datenspeicher, an Festplatten und Server. Die Art der Vorratshaltung hat sich einschneidend verändert, seit immaterielle Güter wie „Energie“, „Daten“ und "Information" zunehmend an gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bedeutung gewinnen. Bei aller Entwicklung vom Tierreich bis zum Homo sapiens sapiens ist die zeitliche Struktur des Speicherns jedoch gleich geblieben: Vorratshaltung für den temporär aufgeschobenen Bedarf. Wie Joseph, der biblische Erfinder der ägyptischen Vorratswirtschaft, verstanden hat, gilt es in den sprichwörtlichen sieben fetten Jahren Getreide anzusammeln, wenn man in den sieben mageren nicht hungern will.
II.
Der Zeitaspekt des Speicherns spielt in der Ausstellung von Annebarbe Kau eine wichtige Rolle. Bei ihrer Videoarbeit „Château d'eau et femme célibataire“ kommt der Faktor Zeit schon mit dem Entstehungsdatum ins Spiel, denn es handelt sich um eine frühe Arbeit von 1983/84. Damals war Kau noch Studentin bei Nam June Paik an der Düsseldorfer Kunstakademie. Das Video wurde zwischen 1984 und 1988 an verschiedenen Orten in der Bretagne und im Rheinland ausgestellt. Seitdem lag es ungesehen im Dornröschenschlaf. Künstlerisch ist das Video zwar über 30 Jahre alt – was ihr Speichermedium betrifft, ist es jedoch eine ganz neue Arbeit. Das Werk bestand ursprünglich aus drei analogen Videobändern, wovon das erste in der Bretagne, die beiden folgenden in Düsseldorf entstanden. Die Künstlerin hat die Bänder 2015 digitalisieren lassen, andernfalls wäre die Arbeit unrettbar verloren gewesen. Die maximale Haltbarkeitsdauer von Videobändern wird mit etwa 35 Jahren veranschlagt. Ihre Digitalisierung rettet die Arbeit nicht nur, sie eröffnet ihr auch neue Präsentationsmöglichkeiten. Früher wurden die Bänder parallel auf drei klobigen Röhrenfernsehern abgespielt. Im Einstellungsraum können die zusammengefügten Teile nun mithilfe eines Beamers doppelt, in zwei Registern übereinander und zeitversetzt, so auf die Wand projiziert werden, dass sich immerzu neue Bildpaare ergeben.

Mit der Umformatierung von analoger auf digitale Speicherung bringt das Video schon auf seiner basalen technologischen Zustandsebene ein Grundproblem jeder Speicherung zu Bewusstsein: Auch Speichermedien, dazu bestimmt, ihre Inhalte über die Zeit hinweg zu bewahren, unterliegen unvermeidlich der Zeit mit all ihren Unwägbarkeiten. In großem Maßstab hat man das in Köln, wo Annebarbe Kau zu Hause ist, erleben müssen, als am 3. März 2009 der städtische Wissensspeicher, das Historische Stadtarchiv, in sich zusammenstürzte. An ihrem Video vollzog sich ein ungleich kleineres Zerfallsdrama, aber eben doch ein Drama, auf das die Künstlerin schon mit dem Motiv hinweist, das sie für die Einladungskarte ausgewählt hat. Der horizontale Störstreifen, der das Bild durchzieht und die Linien der Überlandleitungen sowie den in der Ferne aufragenden Turm am rechten Bildrand durchschneidet, deutet an, dass es sich um das Standbild einer alten Videoaufnahme handelt und nicht etwa um eine Fotografie. Bekanntlich gilt: „the medium is the message“.

Die 02. Ausstellung im Jahresprogramm SPEICHERN | AKKUMULIEREN des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2016
Installation
Vernissage
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