Nun aber zum Thema Paradies.  Etymologisch gesehen ist es der alttestamentliche Name für den Garten Eden (hebr.: Wonne), im griechischen bedeutet paradeisos "umzäuntes Land, eingefriedeter Park, Tiergarten"
Worin besteht die Verbindung von Auto und Paradies? Was oder wo ist das Autoparadies und das Paradiesauto? Was macht das Auto so paradiesisch für die kleinen Fluchten, den Rausch auf Rädern, wird es umgrenzter Traumraum, zur Projektionsfläche menschlicher Sehn- süchte, Hoffnungen und Wünsche?  Was prädestiniert den Wagen zur Droge auf Rädern? Die libidinöse Besetzung und Erotik des Autos wird durch den Fahrer proklamiert.  Und was passiert nicht alles im Auto: es wird nicht nur gefahren, es wird geliebt, gezeugt, gelebt, gestritten, gekämpft, geboren und gestorben.
Das Auto als Alltagsobjekt bündelt alle gesellschaftlichen Befindlich-keiten, spiegelt den Zustand einer Gesellschaft wieder.  In dem Essay von Roland Barthes "Der neue Citroen - (D.S. 19)" wurde das Auto zur Déesse, zur Göttin deklariert, die Mythologisierung des Autos vollendet. Technik und Mythos verschmolzen zu einer neuen Einheit.  Das Auto ist als Ganzes ein metaphorischer Körper.  Die Déesse war das autogewor- dene Glücksversprechen für den Fahrer.  Der Himmel auf Erden, ein Superlativ.  "Die Déesse", schrieb Roland Barthes "hat alle Wesenszüge eines jener Objekte, die aus einer anderen Welt herabgestiegen sind; die Déesse ist zunächst ein neuer Nautilus........ Ich glaube, dass das Auto heute das genaue Äquivalent der großen gotischen Kathedralen ist.  Ich meine damit: eine große Schöpfung der Epoche, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern erdacht wurde und die in ihrem Bild, wenn nicht überhaupt im Gebrauch von einem ganzen Volk benutzt wird, das sich in ihr ein magisches Objekt zurüstet und aneignet." Diese galten bekanntlich als das himmlische Jerusalem auf Erden.  Erwin Panofsky leitet die Form des Rolls Royce Kühlergrills von der klassischen griechi- schen Tempelfront ab.
Was ist das Paradies: ein Ort, ein Zustand? Eine Utopie? In fast allen Mythen und Erzählungen der Völker steht am Anfang der Mensch-heitsgeschichte solch ein paradiesisches Grundmuster, das besagt, dass es ursprünglich ein gutes Leben gab.  Uns prägt die biblische Paradies-vorstellung von einem umgrenzten Garten mit Adam und Eva, dem Baum der Erkenntnis und dem Lebensbaum, Flüssen, Pflanzen und Tieren, in dem alles in Harmonie lebt.

Mangel und Entbehrung bilden die Grundlage für die essentielle Sehn- sucht nach dem Paradies.  Das Fehlende kann nur durch die Imagination aufgefüllt werden.  Angesichts der Lebensrealität, die auch Krankheit, Mühsal, Leid und Tod umfaßt, wird die Sehnsucht, der Traum vom Glück unglaublich existenziell und ist auch der Phantasiemotor für die Kreativität der Künste.  Der Traum vom Goldenen Zeitalter, das Paradies im heutigen Verständnis, ist ein profanisiertes Glücksver-sprechen.  Erlösung von Krankheit und Unsterblichkeit wird von Natur-wissenschaft und Technik erhofft.  Dieser Fortschritt soll den Um- schwung in den materiellen und geistigen Lebensbedingungen der Men- schen hervorbringen und Wohlstand und Unsterblichkeit - eine paradiesische Zukunft bewirken. Wenn wir Paradies als individuelle Glücksmetapher verstehen, dann bietet wohl kaum ein anderes Objekt unserer modernen technisierten Zivilisation solch eine Anziehungskraft als Projektions- und Identifiaktionsfläche für die individuellen Glücks-phantasien als das Auto.



Im Keller zaubert die Künstlerin durch einen kitschigen Perlenvorhang aus dem Baumarkt eine paradiesische Szene an die Stirnwand des Raumes.  Ein Schwan zieht majestätisch im Wasser seine Bahn.  Ein Baumwipfel im oberen Bilddrittel rundet diese Idylle ab.  Aber es ist zu schön, um wahr zu sein und wäre auch keine Arbeit von Christine Carstens, die sibyllinische Fragen stellt und dämonisch die andere Seite der Dinge aufblitzen lässt.  Links oben jedoch reißt wieder ein rotes Schild mit der Aufschrift EXIT die Idylle auf und bringt wieder die Tür ins Spiel.  Ist hier ein Ausgang? Wer möchte aus dem Paradies raus, alle wollen doch hinein?  Ausgang, wohin? Dahinter ist nur eine Wand.  Es gibt keinen Ausgang oder doch ?
Die Künstlern zeigt durch minimale Veränderungen die Gegenstände der Alltagskultur in ihrer Doppelgesichtigkeit. Die künstlerische Vorgehens-- weise ist das Wesentliche.  Die Dekonstruktion des Vorgefundenen.  Der Abbau von mechanischen
Wahrnehmungsmustern, um neue Erschei-nungsmöglichkeiten hervorzubringen.  Sie nutzt die Technik des medialen Cross-Over mit unglaublichen Effekten. 
Wie immer bei Christine Carstens unterhält sie uns mit Ironie und Humor. 

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