Die gekochten Wurzeln der Kultur - Eröffnungsrede von
Dr. Thomas J. Piesbergen zu "Eva Ammermann - 121) Eier in Schnee" im EINSTELLUNGSRAUM.

                             

Foto Eva Ammermann

Eva Ammermann, 121) Eier in Schnee, 2017


Die englische Fachzeitschrift Anthropocene Review veröffentlichte im Dezember 2016 einen Aufsatz in dem Wissenschaftler der Universität von Leicester die Masse aller von Menschen gemachten Dinge auf etwa 30 Billionen Tonnen schätzten. Dieser im Gegensatz zur Biosphäre als  „Technosphäre“ bezeichnete Teil unserer Umwelt würde demzufolge mit einem Gewicht von nicht weniger als 50 kg pro Quadratmeter Erdoberfläche zu Buche schlagen.


Diese Zahlen machen deutlich, in welchem kaum vorstellbaren Maße der Mensch bereits Dinge aus der natürlichen Umwelt entnommen hat, um sie zu dem zu transformieren, was einen großen Teil unserer Lebenswelt ausmacht. Doch die Technosphäre deckt noch lange nicht alles ab, was dieser kulturellen, vom Menschen gestalteten Umwelt angehört: Denn auch das, was vielfach der Biosphäre zugeschlagen wird, ist bereits ein Produkt, wenn auch ein rohes, der menschlichen Intervention, wie z.B. Nutzwald, landwirtschaftliche Flächen, Weidegründe, „naturnahe Erholungsgebiete“, Parkanlagen oder Gärten.

Schon in den künstlerischen Äußerungen des Menschen der Jungsteinzeit, wie z.B. in Catal Hüyük, können wir die Dichotomie zwischen der ungezähmten, bedrohlichen Natur und ihrer domestizierten und kultivierten Variante beobachten. Die erstere wird in der Frühzeit der Kultur mit Symbolen assoziiert, die für den menschlichen Tod stehen, die domestizierte Natur hingegen wird dem menschlichen Leben zugeschlagen.
Dieselbe Dichotomie tritt uns noch Jahrtausende später in den Schriften des Freiherrn Friedrich von Hardenberg (Novalis) entgegen, der zwar in der Natur den idealen Spiegel zur Selbsterkenntnis sah, aber nur, wenn sie sich in einem gezähmten, zugänglich gemachten Zustand befand, da die wilde, ungezähmte Natur zu dunkel und fremd und dem Menschen gegenüber zu feindlich gesonnen sei.

Der Graben zwischen natürlicher und kultureller Umwelt ist im Laufe der industriellen und postindustriellen Gesellschaft mit atemberaubender Geschwindigkeit immer tiefer und breiter geworden. Die freie Natur ist zu etwas geworden, das dem urbanen Menschen fremdartig, bedrohlich und unwirklich erscheint und mit dem er meist keinerlei unmittelbare Berührungs-punkte hat.
Viele Kinder glauben, die natürliche Farbe von Kühen sei lila. Auf städtischen Spielplätzen kann man immer häufiger Kinder sehen, die zum Spielen im Sand die Schuhe, nicht aber die Strümpfe ausziehen, um bloß nicht unmittelbar mit dem Sand in Berührung zu kommen; und auch die meisten abenteuerlustigen Erwachsenen wagen sich nur noch gewappnet mit einem Arsenal von Schutz- und Abwehrutensilien aus dem Outdoor-Spezialgeschäft und einer klar umgrenzten „Challenge“ in eine Natur hinaus, die bereits von „Natur“ zu „Schmutz“ umgewertet wird, sobald sie von den Trecking-Boots auf den Boden des geodätischen Zelts rieselt.


Unter umweltbewußtem Handeln, das nach wie vor nur von einer Minderheit praktiziert wird, versteht man ebenfalls vor allem ein abstraktes Agieren in Kontexten, die zwar als Alter-nativen zu dem postindustriellen Mainstream angesprochen werden können, die aber nichts-destotrotz ebenso von der Natur entfremdet sind:

So zahlt man z.B. bei Logistik-Unternehmen oder online-Druckereien Aufschläge für den „klimaneutralen“ Druck und Versand. Hinter dieser Attributierung verbergen sich aber keine Druck- und Versandverfahren, die konkret umweltneutral sind, sondern lediglich ein nicht mehr nachvollziehbarer Handel mit Emissions-Zertifikaten.
Man bezieht zwar umweltfreundlich erzeugten Strom, der kommt aber unverändert aus der Steckdose und bleibt in all seinen Anwendungen die gefühlte Antithese zur Natur schlechthin.
Man verpackt die Schulbrote nicht mehr in Tupperware aus PET, sondern in kompostierbare Dosen aus Bio-Plastik auf Milchproteinbasis. Oder man kauft Bioprodukte, die aus Peru, Südafrika oder China eingeflogen werden. Eine unmittelbare Interaktion zwischen Mensch und Natur findet nicht statt.

Für die Mehrheit der Menschen in unserer postindustriellen Gesellschaft ist die Trennung von Natur und Kultur inzwischen so fest in den Köpfen verankert, daß oft vergessen wird, daß

Dokumantation
Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek
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