Zwar dienen Photographien als Ausgangsmaterial, doch durch die Übertragung in ein zunächst flüssiges Medium, das sich später zur Haut verfestigt, weisen die Oberflächen einen deutlichen Pinselduktus auf, der dem zeitlosen photographischen Motiv eine malerische zeitliche Tiefe verleiht und auf die Dauer des Entstehungsprozesses verweist. Der narbige Pinselauftrag des Polymers kennzeichnet eine zeitliche Frist, die mit der Vergänglichkeit des Motivs korrespondiert.

Die Installation im Kriechkeller geht auf Motive aus der Goldenen Kammer in der Kölner St.Ursula Basilika zurück. In der barocken Reliquienkammer, die wie die Pariser Katakomben mit Ornamenten und Mosaiken aus menschlichen Knochen verziert ist, werden die Schädel etlicher Heiliger und hoher kirchlicher Würdenträger aufbewahrt.
Doch auch dieser Ort, der dem memento mori gewidmet ist, ist selbst der Vergänglichkeit unterworfen. Die aufgebahrten Schädel wurden im Rahmen von Restaurierungsarbeiten zwar an Ort und Stelle belassen, aber vorübergehend in Plastiktüten verpackt. Durch die Art der Photographie treten uns diese profanen Verhüllungen allerdings in altmeisterlichen Farben entgegen und erinnern an die überaus künstlerischen Faltenwürfe  auf historischen Gemälden; ein ganz bewußtes Zitat und Verweis auf den historische Kontext des Vanitas-Gedankens.

Die Verhüllung korrespondiert zudem mit der Entindividualisierung, die bereits in der Arbeit aus den Katakomben zu sehen ist: Die Schädel, die man vielleicht noch anhand individueller Merkmale hätte unterscheiden können, sind anonym und endgültig gesichtslos geworden. Sie haben ihre Individualität eingebüßt.

Die Verhüllung der Schädel hat aber noch weitere Bedeutungsebenen. Der Tod, an den ehemals gemahnt werden sollte, ist dem heutigen Auge unerträglich. Also wird er entweder zu einer grotesk verzerrten und überzeichneten Karikatur seiner selbst, oder er wird, wie hier, unkenntlich gemacht, verdrängt und in unser Unterbewusstsein abgeschoben.

Als eine solche räumliche Metapher kann man diesen Teil des Installationszusammenhangs ohne weiteres betrachten: der Keller mit den vermummten Totenschädeln als das Archiv unserer verdrängten Todesangst.
Doch das, was abgespalten, versteckt und verborgen worden ist, kehrt umso diffuser und gespenstischer zurück. Und so wirken die düsteren, undeutlichen Bündel auf uns vielleicht noch viel bedrohlicher und unheilverkündender, als es die tatsächlichen Schädel vermocht hätten.

Steigen wir aus dem Untergrund hinauf, lösen wir uns auch aus dem Zusammen-hang des barocken Vanitas-Gedankens und seiner düsteren Mahnung, die trotz aller Eitelkeit und Vergänglichkeit immer auf das Bleibende, das Ewige verweist. Denn angesichts des Schädels stellt sich die offenkundige Frage: Was bleibt nach unserem Tod im irdischen Diesseits, und wohin verschwindet das, was wir als unser „Ich“, als unsere Identität erfahren haben?  Wohin entschwindet der Mensch, der uns, in stetiger, langsamer Wandlung aus dem Spiegel ansieht? Um auf die Worte Rilkes zurück zu greifen: Der Kern, in dem wir uns nicht erkennen, bleibt, aber wohin entschwindet die süße Frucht?
Im barocken Zusammenhang ist dieser Mensch aus dem Bild verschwunden, denn er hat unsere Welt verlassen, um in der jenseitigen seinen Platz einzunehmen.

Doch was geschieht in der Gegenwart, in dem erlebten Jetzt mit diesem „Ich“, mit unserer weltlichen Oberfläche, in der wir uns erkennen, mit der wir mit der Welt in Kontakt treten? 

Sie hat keinen Ort an den sie gehen kann. Und so richtet sich der Blick nun notgedrungen auf das ganze entsetzliche, diesseitige Ereignis der Entindividualisierung und des nur noch leiblichen Todes; nicht auf das, was einst von uns übrig bleiben wird, sondern auf das, was uns entrissen wird: Eben diese Oberfläche, die Haut, Trägerin unserer Identität, Schnittstelle zwischen Innen- und Außenwelt, der Schauplatz all unserer sinnlichen Begegnung mit der Wirklichkeit und der Austragungsort der verbissensten Kämpfe mit unserer Eitelkeit.

Es ist nicht der fremde Tod, der uns schockiert, sondern immer nur der eigene, an den wir erinnert werden. Und so hat Adriane Steckhan folgerichtig die eigene Haut, den eigenen Torso als Ausgangsmaterial für die zentrale Installation der Ausstellung gewählt.

Betritt man den Hauptausstellungsraum, reiht man sich unweigerlich ein in eine Flucht von

Die 4. Ausstellung zum Jahresprogramm (Keine) Wendemöglichkeit 2018 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.

Präsentation
Vernissage
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