Die Taktung von Akkord und Akkorden
Hammer und Guidonische Hand
Johannes Lothar Schröder über die Ausstellung accord
von Waltraud Kiessner

Inmitten der Ausstellung "accord" liegt ein Hammer in einer Vitrine. Ein Arbeiter benutzte ihn, um die Ösen an Gehäusen von Kugellagern festzuschlagen. Das geschah im Akkord, und so kam es, dass der Hammerstiel im Verlauf von Jahren durch den immer gleichen Handgriff von den Schwielen der Hand so abgenutzt wurde, dass die anliegenden Fingerglieder und Gelenke der Hand das Holz auskerbten. Die dazugehörige Hand können wir uns nur vorzustellen versuchen.

Dieser Hammer aus der stillgelegten Niederlassung der Firma Kolbenschmidt in Hamburg ist irgendwann mit Waltraud Kiessner zusammen gekommen, und wurde zum Anlass für diese Ausstellung, in der es, wie die des weiteren versammelten Zeichnungen und Montagen zeigen, um die Hand als ein elementares Instrument menschlichen Handelns, Werkens und Gestaltens geht. Die fast 20 überwiegend kleinformatigen Arbeiten auf Papier und Karton dokumentieren die Auseinandersetzung mit dem Fundstück und der Hand. Zu sehen sind plastische Abformungen des Hammerstiels mittels Seidenpapiers, auf dem die Einkerbungen zusätzlich auch schwarz abgedruckt sind und stilisierte Handflächen, die sich mit gestreckten Fingern silhouettenhaft von einer hellen Oberfläche abheben. Einige sind mit kleinteiligen Markierungen übersäht, die auf den ersten Blick an Votivgaben aber auch an Tätowierungen erinnern. Auf zwei großflächigen Arbeiten, von denen eine - im Schaufenster frei im Raum stehend - die Blicke auf sich lenkt, sind diese Einschreibungen deutlich erkennbar. Auf der auf einem Modellkarton kaschierten ca. 100 cm hohen Kopie der stilisierten Hand sind Linien und gotische Buchstaben zu unterscheiden. Die Linien markieren die Fingerkuppen sowie die Gelenke der Finger und des Daumens. Auf sie sind Quadrate gesetzt, wie sie aus alten Notenschriften geläufig sind. Zahlreiche dieser Vierecke sind sauber ausgeschnitten  und in den meisten stecken Hammerköpfe, deren Spitzen verso die weiße Fläche überragen. Die Einladungskarte zeigt übrigens einen Ausschnitt dieser Bildtafel, die eine Abbildung der Guidonischen Hand darstellt.
I. Die Hand als Memorysystem

Die verwendete Druckgraphik der Guidonischen Hand, die hier vergrößert reproduziert wurde, geht zurück auf den Benediktinermönch Guido von Arezzo, der um 1000 ein Notationssystem erfand, das es ermöglichte, Noten anhand der Handinnenfläche zu zeigen. Das war besonders deshalb notwendig, weil es im Mittelalter zwar schon vier und später fünf Notenlinien1  gab, die schriftliche Aufzeichnung von Noten aber wenig verbreitet war. Schon gar nicht gab es Notenblätter für einzelne Instrumentalisten oder Sänger. Es war üblich und erforderlich, dass jeder die zu spielenden oder zu singenden Passagen auswendig beherrschte. Gleichwohl stellte und stellt die Hand ein wichtiges Kommunikationsmittel für das gemeinsame Musizieren dar. Die Guidonische Hand schaffte ein verbindliches Bezugssystem, wie die zahlreichen Graphiken, die noch Jahrhunderte nach ihrer Erfindung in Umlauf gebracht wurden, belegen. Das Berühren bestimmter Fingerglieder an der linken Hand erlaubte es, sich das vereinbarte Stück zu vergegenwärtigen und den verlangten Ton oder eine Tonfolge für alle sicht- und nachvollziehbar anzuzeigen.
Auf der Guidonischen Hand sind die Töne den Falten der Finger- und Daumengelenke der linken Handinnenfläche sowie den Fingerspitzen zugeordnet. Die Zählung beginnt an der Daumenspitze mit der alten Tonsilbe "ut" und setzt sich mit "re" und "mi" über die erste und zweite Daumengelenkfalte nach unten fort, um den Falten an den Basen des Zeigefingers mit "fa" und der folgenden Finger mit "sol", "la" zu folgen. An der Basisfalte des kleinen Fingers setzt die nächste Sexte wieder mit "ut" an und steigt an den Falten dieses Fingers bis zur Spitze auf, um über allen Fingerspitzen bis zu der des Zeigefingers zurückzulaufen. Die Zählung der dritten Sexte beginnt darunter an der obersten Gelenkfalte des Zeigefingers und läuft dann über die jeweils zweiten Falten des Mittel- und Ringfingers. Dort steigt sie zur oberen Falte, schwenkt zu dieser des Mittelfingers und läuft zu dessen Spitze, wo sie die Hand verlässt.

Die Homepage von www.photographersdirect.com verwendet eine gut erkennbare Linie dieser Bewegung und zeigt neben den traditionellen Italienischen Tonsilben auch die Buchstaben "Gamma" und A bis G, die nach acht Tönen mittels entsprechender Kleinbuchstaben fortgesetzt werden. Durch die Mehrfachbezeichnung der Punkte stellt dieses System also zusätzlich Septe und Oktav dar.
Die 07. Ausstellung im Jahresprojekt  Autos fahren keine Treppen  des EINSTELLUNGSRAUM  e.V.
Vernissage

1 Auch diese sind durch Guidos Wirken weiterentwickelt worden. Auf dem Handteller sind vier Notenlinien abgedruckt, auf denen je 6 Töne aufsteigend und absteigend wiedergegeben sind.
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