Nun, trotz ihrer relativen Größe werden die Lüftungs-Nasen von Heiko Wommelsdorf Sie nicht verschlucken und fressen.

Heiko Wommelsdorf schöpft für seine Arbeit aus zwei Bereichen: Von der Seite der Kunst arbeitet er mit unerwarteten Objekten, neugefundenen Kombinationen und ins Bewusstsein verstärkten Geräuschen. Im engeren Umgang mit seinen Sound-Quellen, in der Verwendung beispielweise von Loops und Phasenverschiebung, hat er von der amerikanischen Minimal-Musik gelernt, erinnert sei an Steve Reich, Terry Riley, Philip Glass, den viel zu unbekannten Colon Nancarrow und selbstverständlich John Cage.

Heiko Wommelsdorf zeigt uns den Ton in seiner Ambivalenz zwischen innerlicher Wahrneh- mung und existentieller Präsenz, zwischen Stille, Signal und Lärm.
 
Hat man das verstanden, ist die Sache aber nicht erledigt. Dann beginnt die durch Heiko Wommelsdorf geschärfte Wahrnehmung, sich frei vagabundierend auf alles Mögliche zu erstrecken: Gehört dieses oder jenes Geräusch zur Inszenierung des Künstlers? Oder man kommt zu noch generelleren Gedanken wie: In welcher Klang-Inszenierung laufen wir im Alltag eigentlich herum? Und wie ist das eigentlich auszuhalten? Wenn Heiko Wommelsdorf mit Studenten arbeitet, gibt er ihnen oft als erstes einfach ein Mikrophon und lässt sie damit durch die Stadt gehen. Denn die Technik gibt die Geräusch-Umwelt ohne die Filter des Gehirns wieder… und manche entdecken, dass derartige Geräusch-Überlagerungen ziemlich erschreckend sind. Aber – man denke an die Wertung der Futuristen – auch faszinierend. Poetisch können die ganzen An- und Absauganlagen der Stadt als ein großes System verstanden werden, gar als die Organe eines quasi-lebendigen Meta-Wesens, als Atmen der Stadt.

„Wenn wir eine moderne Großstadt mit aufmerksameren Ohren als Augen durchqueren, dann werden wir das Glück haben, den Sog des Wassers, der Luft oder des Gases in den Metallröhren, das Brummen der Motoren, die zweifellos wie Tiere atmen und beben, das Klopfen der Ventile, das Auf und Ab der Kolben, das Kreischen der Sägewerke, die Sprünge

der Straßenbahn auf den Schienen, das Knallen der Peitschen, und das Rauschen von Vorhängen und Fahnen zu unterscheiden. Wir haben Spaß daran, den Krach der Jalousien der Geschäfte, der zugeworfenen Türen, den Lärm und das Scharren der Menge, die verschiedenen Geräusche der Bahnhöfe, der Spinnereien, der Druckereien, der Elektrizitätswerke und der Untergrundbahnen im Geiste zu orchestrieren.“

Auch dies ist wieder aus dem eingangs erwähnten Manifest von Luigi Roussolo.  Und auch bei ihm bleibt es nicht bei der bloßen Wahrnehmung. Er möchte all dies harmonisch aufeinander abstimmen und systematisiert im weiteren:

„Hier die 6 Geräuschfamilien des futuristischen Orchesters, die wir bald mechanisch verwirklichen werden:

1.   Brummen, Donnern, Bersten, Prasseln, Plumpsen, Dröhnen.
2.   Pfeifen, Zischen, Pusten.
3.   Flüstern, Murmeln, Brummeln, Surren, Brodeln.
4.   Knirschen, knacken, Knistern, Summen, Knattern, Reiben.
5.   Geräusche, die durch Schlagen auf Metall, Holz, Leder, Steine, Terrakotta
      usw. entstehen.
6.  Tier- und Menschenstimmen: Rufe, Schreie, Stöhnen, Gebrüll, Geheul,
      Gelächter, Röcheln und Schluchzen.“

Es war eine Idee auf dem damaligen Stand der Technik, diese Eindrücke MECHANISCH ausdrücken zu wollen. Realisieren kann man das inzwischen weit besser ELEKTRONISCH. Und die Entwicklung ging nach dem zweiten Weltkrieg nicht von Italien aus, sondern von der Minimal-Musik in den USA. Spätestens seit John Cage wissen wir, dass ALLES Musik ist, auch die Pause. Und auch die ausdrückliche Abwesenheit von Tönen heißt nicht, dass es nicht dennoch Klänge gibt – und seien es noch so minimale Umweltgeräusche.





Die 01. Ausstellung im Jahresprogramm Wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbaß (M.Claudius) des EINSTELLUNGSRAUM e.V.

Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek 
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