Lüftungssystem wäre doch wohl des Guten zu viel. Wir dürfen das also als eine Skulptur betrachten. Als ein Ready-made, das uns die meist übersehenen Formen des Alltags präsentiert und ins Bewusstsein ruft.

Nun ist die Arbeit aber nicht still. Ihr Rauschen lässt erneut vermuten, es könne sich doch um eine zweckmäßige technische Anlage handeln. Allein, der Ort und dazu das bisher Gesagte, lassen erneut daran zweifeln.

Ich habe es schon eingangs verraten, Heiko Wommelsdorf arbeitet mit Klang-Installationen. Er verwendet immer wieder gerne Elemente von Lüftungsanlagen, denen er mittels Ventilatoren oder elektronischer Geräuschaufzeichnung Leben einhaucht, er verstärkt den Klang kaputter Leuchtstoffröhren, lässt alte Fernseher miteinander interagieren oder verfremdet und re-arangiert frühe elektronische und elektrische Geräte aus seinem großen, lange angesammelten Fundus. Aber auch analoge Tongeber werden eingesetzt: zersägte Schallplatten und mechanisch veränderte Spieluhrwalzen, rhythmische Wassertropfen oder knarzende lose Fußbodenbretter, überhaupt alle Arten von Eigengeräuschen der uns umgebenden Materialen – von gluckernden Heizungen bis zum noch nie bewusst wahrgenommenen Kratzen der Schreibfeder eines museumsüblichen Thermo-Hydro-graphen.

Die Installationen von Heiko Wommelsdorf bieten so etwas wie eine „Musik des Alltags“, sind durch ihren notwendigen Raumbezug zugleich Institutions-, ja Design- und Architekturkritik. Sie täuschen, unterwandern und schärfen die Aufmerksamkeit.

Nun sollte eine Eröffnungsrede nicht alles toterklären. Manche finden es besser, wenn der Redner eine Geschichte aus seinem Leben zum Besten gibt. Diese Kunden möchte ich nicht enttäuschen: Als ich das erste Mal im Keller des Jeu de Paume in den Pariser Tuillerien Monets Seerosen betrachtete – und ich war unglaublicherweise sogar fast ganz allein – erschien es mir, als ob ich in diesem Rausch von Blau und Grün, von Wasser und Licht, durch der Augen Wahrnehmung selbst in diesem Keller das Wasser und den Wind des Gartens von Giverny hören könnte. Überwältigt von der Kraft der Malerei dauerte es schon einige Augenblicke, bis ich realisierte, dass die vermeintliche Idiosynkrasie nur durch die Geräusche der Air-Condition erzeugt worden war.
 

Von Monet zur Air-Condition war es damals nur ein kleiner Schritt, hier aber ist es von der Abluft-Anlage zu Ihren Assoziationen ein großer Sprung: Haben Sie das eine gesehen, können Sie sich das andere dazu denken: Die Galerie-untypische Installation verweist auf die Fabrik, das daraus umgewandelte Veranstaltungszentrum oder das Museum.

Denn in einer Einzelpräsentation in einer – mit Verlaub nicht so besonders großen – Galerie sind seine Arbeiten nach Heiko Wommelsdorfs Meinung eigentlich zu deutlich präsent. Er liebt es, wenn seine Interventionen sich zuerst unbemerkt in den jeweiligen Ausstellungskontext einfügen, wenn die Lüftungsklappen, die flackernde und klickernde Neonröhre und die in einen Bau-Eimer abtropfende Decke für „Fehler“ des White Cubes gehalten werden: So nach dem Spruch: „Einen schönen Ausstellungsraum habt ihr hier, aber ihr hättet doch auch noch schnell  den Wasserschaden reparieren können!“

Doch auch wenn die Präsentationsformen sich manchmal  sehr zurücknehmen oder sogar fast anekdotisch scheinen, Klangkunst ist eine ernsthafte Angelegenheit, der allerdings leider oft zwischen Bildender Kunst und Musik nicht der angemessene Platz eingeräumt wird. Heiko Wommelsdorf ist Meisterschüler von Ulrich Eller, Professor für Klangskulptur und Klangin-stallation an der HBK Braunschweig. Und in den Texten zu und über die Klangkunst geht es oft äußerst professoral zu. Dabei wird oft die ganze Musik-Theorie und das ganze Kunst-System bedacht und ganz allgemein die Ästhetik als Aisthesis, also als Wahrneh-mungslehre abgehandelt – ich sagte schon, meine Damen und Herren, es geht um Wahrnehmung, es geht um Aufmerksamkeit.


Und in den Texten zu Heiko Wommelsdorf habe auch ich einen mir bisher unbekannten Begriff gefunden, den ich Ihnen nicht vorenthalten will: Par-eidolie. Dolles Ding das. Sowas wie der kleine Bruder der Verschwörungstheorie: Es ist das Wort für die Tendenz des Bewusstseins, auch in zufälligen Erscheinungen sinnfällige Gestalten und Beziehungen zu finden. Dass es dafür ein Wort gibt, freut natürlich einen solchen extremen Sammler und Arrangeur wie mich. Doch in der Klangkunst  ist diese Tendenz zur  „Zusammenschau“ dien- lich, um aus vereinzelten, so üblicherweise nicht gewohnten Elementen ein vollständiges Bild bzw. Hörbild zu erzeugen. Und ursprünglich scheint mir dies eine Fähigkeit, unbekannte Dinge und Klänge zu ordnen – evolutionsgeschichtlich natürlich hinsichtlich ihrer potenziellen Gefährlichkeit für das Menschentier.

Die 01. Ausstellung im Jahresprogramm Wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbaß (M.Claudius) des EINSTELLUNGSRAUM e.V.

Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek 
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