Kim Annika Welling        ZOOM
Text zur Einführung der Ausstellung im EINSTELLUNGSRAUM 07.12.2016
von Manya Gramsch MA

Wir leben heute in einer Zeit, die mehr denn je geprägt ist von Schnelligkeit, Gleichzeitigkeit und Verfügbarkeit. Bereits in den 1990er Jahren konstatierte der französische Anthropologe Marc Augé wir seien in der Übermoderne angekommen. Diese kennzeichnet sich nach seiner Definition unter anderem durch das Übermaß an Raum und Zeit, was konkret bedeutet, dass durch beschleunigte Transport- und Reisemittel sowie die gleichzeitige Wahrnehmbarkeit von globalen Ereignissen, durch TV und Internet, Distanzen gefühlt kürzer werden und Ereignisse schneller in die Geschichtsschreibung eingehen. Wir müssen also, so fordert Augé uns auf, neu lernen Raum und Zeit zu denken.

Heute hat sich diese Entwicklung im Zuge der Globalisierung sowie der zunehmenden digitalen Vernetzung drastisch zugespitzt. Ob wir nun Social Media, online Suchmaschinen oder einfach bargeldlose Zahlungsmethoden nutzen, jeder von uns hinterlässt in seinem Alltag die eine oder andere digital erfassbare Spur. Aus dieser Digitalisierung unserer Lebenswelt folgt, dass wir täglich mit einer noch höheren Anzahl von Ereignissen konfrontiert werden, an noch mehr Orten auf der Welt, ungeachtet der Entfernungen oder Zeitverschiebungen, agieren und im Austausch stehen können. Informationen sowie unterschiedlichste Güter sind jeder Zeit verfügbar – die Welt hat sich weiter beschleunigt und eine neue Dimension von globaler Simultanität erreicht.

Damit einher geht unter anderem auch die Entwicklung von neuen Verfahren, die die Datenmengen, die aus unserer heutigen Alltagskultur resultieren, verarbeiten, speichern und auswerten können. „Big Data“ ist in diesem Rahmen ein Begriff, der in den letzten Jahren immer häufiger Verwendung findet. Gemeint ist damit ein Verfahren, das es ermöglicht große, komplexe Mengen von Datenakkumulationen, wie sie beispielsweise durch die Nutzung sozialer Onlinemedien wie Facebook oder zahlreicher Smartphone-Apps entstehen, zu verarbeiten und auszuwerten. Diese Analyse des privaten Agierens in der digitalen Welt dient beispielsweise Konzernen zur Optimierung des Angebots oder der Werbemaßnahmen - eine Strategie, die Datenschützer wie Laien gleichermaßen alarmiert.
So verwundert es nicht, dass auch Künstler sich seit einigen Jahren kritisch mit den Möglichkeiten und Konsequenzen des Internets und digitaler Vernetzung der verschiedenen Lebensbereiche auseinandersetzen. An diesem Punkt setzt auch die Arbeit von Kim Annika Welling an.

Die fröhlichen Collagen, die kleine bunte Quadrate über das Papier tanzen lassen, erinnern auf den ersten Blick vielleicht an Mosaike, frühe Computergrafiken oder, wenn man mit Wellings früheren Arbeiten vertraut ist, auch an Stick-Muster. Erst die dazugehörigen Bildtitel wie IMG_TanzWieEinHuhn.JPG oder IMG_EinenKampffischAuswälen.JPG eröffnen dem Betrachter eine Assoziation zur digitalen Welt der Pixel. Sowohl Anfang, als auch Ende der Titel kennzeichnen die gängige Bezeichnung von Foto-Dateien. Pixel stellen dabei die kleine Einheit von Quadraten dar, aus denen sich das digitale Bild zusammensetzt. Freilich bleiben die bunten Pixelmuster und die kryptischen Bildtitel zunächst dennoch rätselhaft.


Als sich die Idee zu ihrem aktuellen Werk entwickelte, recherchierte Welling unter anderem zur gerade skizzierten Problematik des Big Data-Themas. Möglich, dass sie unbewusst von der Visualisierung von Big Data-Analysen inspiriert wurde, die dem Laien als ein Raster oder Muster aus vielen bunten kleinen Quadraten erscheint.
Mehr noch nahm jedoch ihre ganz private Lebenssituation Einfluss auf den Kern dieser Arbeit, die geprägt war und ist von einem Pendeln zwischen unterschiedlichen Realitäten. Seit über einem Jahr lebt die Künstlerin in Buenos Aires. Dort ist sie viel in der ganzen Stadt unterwegs, wird täglich von neuen und mannigfaltigen Eindrücken und Erfahrungen überrollt. Gleichzeitig steht sie weiterhin mit Freunden und Familie in Deutschland in täglichem Kontakt und erhält über soziale Onlinemedien und die Kommunikationsmöglichkeiten via Smartphone auch visuell regelmäßig Eindrücke und Informationen von der anderen Seite des Atlantiks.

Wie auf so viele andere auch, die nicht zu den sogenannten Digital Natives gehören und eben nicht mit Smartphones und der permanenten digitalen Selbstinszenierung aufgewachsen sind, üben die neuen Möglichkeiten dieses kleinen Alleskönner-Apparates eine erhebliche Faszination


Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, Bezirk Wandsbek und VG-Bildkunst, Bonn
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