Podium Einstellungsraum: das Paradies und das Auto  
24. Juni 05 18h
Doris Cordes-Vollert,
Performance mit Harald Finke


Die Wahrnehmung des Paradieses:
ist eine ziemlich aleatorische Angelegenheit.
Um die Auslegung wurden zu viele Kriege gefŸhrt.
Ich spreche Ÿber einen winzigen Aspekt eines verhunzten Paradiesbegriffes, Ÿber das populŠre paradiso vulgaris, das missbraucht wurde und wird durch falsche Versprechen, Bestrafung und Machtanspruch. Das Merkmal dieses Para- dieses ist die Mauer, die Begrenzung.  Drogen, Fluchten in Trance und andere suggestive Mittel und Techniken werden benutzt, um Menschen in die Paradiso-Falle hineinzulocken.  Ich habe den Verdacht, dass der Moment der "Vertreibung", der sich gegen die Vorenthaltung von Erkenntnis wendet, der Moment eines wichtigen Gedankenereignisses ist und, dass die meisten meistens noch im Stadium der schlŠfrigen Unerkenntnis im Paradies verharren wollen.


In den vergangenen 50.000 Jahren haben Menschen phantastische Vorstellungen erfunden.  Und heute gibt es so viele Paradiesvorstellungen wie es WŸrfelwŸrfe aller stŠndig wŸrfelnden Menschen gibt.

Ein verantwortliches Bewusstsein Ÿber unsere AbhŠngigkeit von der Natur und dem Wohlergehen der Mitmenschen kann meines Erachtnes nach aber nur au§erhalb eines derartig missbrauch- baren paradiso wachsen, in gebildeter Verantwortung.

Der altpersische Garten Eden, der Ursprung (unseres christlich bestimmten) pairi-dae-za, war ein mit einer Mauer umzŠuntes StŸckchen Land, das der wilden und wŸsten Natur drumherum abgetrutzt wurde und das dem Einblick und Zugriff der Normalbevšlkerung entzogen war.  Ein "Schlosspark", der erst viel spŠter zum idyllischen Schrebergarten oder šffentlich zugŠnglichen Park wurde.  Ein Refugium, das im Kontrast zum
umgebenden Land stand.  Allein fŸr die, die sich das Recht dieser Abgrenzung herausnahmen.  Ein kŸnstlicher Eingriff, eine idealisierte Natur zum Zweck der Selbstkršnung eines Machtanspruchs.  DoktrinŠr, exclusiv und mit hohen Mauern von der unordentlichen Welt abgeschirmt, grenzten diese GŠrten die nicht domestizierbare Natur und das einfache Volk aus.  Marzialisch verschlossene Mauern trennten die Welt der "wissenden" Besitzenden von den in jeder Hinsicht Besitzlosen und schŸrte ihre SehnsŸchte.  Die Mauer stimulierte die Phan- tasie der Ausgeschlossenen und war fruchtbarer Boden fŸr grandliose Sublimierungs- und UnterdrŸckungsphantasien.

Der Hintersinn dieser GŠrten war der Machtwille des Besitzers, sich Gott oder dem Propheten gleich zu stellen.  Als von ihm (der seinen gekauften Fremdarbeitern) geschaffene Natur, wurde der Garten Sinnbild fŸr die SchšpferŠhnlichkeit und Hybris des Menschen (natura naturata).
Dennoch finde ich das Bild vom Paradies wesentlich komplexer und interessanter als eine Marlboro- oder Toyota-Reklame, mit der der Kapitalismus seine Form von Paradies suggeriert: Das Einkaufsparadies, in dem man umgeben ist von (fast) allem, was das Herz begehrt (oder begehren soll).  Sogenannte "Zukunftskonferenzen" erforschen heute !!! intensiv die inneren Wirkungsmechanismen von Mythen und Religionen fŸr die PopulŠrkultur.  Die Erprobung neuer Paradiesvertršstungen, um von den Globalisierungsmechanismen der Oligarchen abzulen- ken, hin in ein unwiderstehliches Konsumentenmarktparadieso mit vulgŠrer Erlšsungsgewissheit durch Marken-Lustmake-up.

Um im Bild zu bleiben: Diejenige, die den Apfel gepflŸckt hatte, um zu entkommen, musste eine Ahnung von Kunst (dem zweckfreien, unverkŠuflichen Spiel) und einer demokratisierba- ren Wissenschaft gehabt haben.  Man mŸsste eben fragen: wer hat das Bild vom Paradies und warum erfunden? Die meisten populŠren Paradiesbilder scheinen mir Schlafzimmer zu sein, in denen Bewusstlosigkeit, Vertršstungen und Gehor- samsverpflichtungen herrschen.
Der Rauswurf ist also ein spannender Moment.

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