Foto Wagenlenker von Delphi

Zeichnung nach Wagenlenker von Delphi,
um 470 v. Chr. Bronce, Höhe 180 cm
Ein Arm ist zwar abgebrochen aber an der anderen Hand hält er noch die Reste der Zügel für sein Viergespann. Um den Kopf ist ein Stirnband gelegt. Insgesamt bildet der leicht nach rechts gewandte Kopf einen Kontrapost zu den nach links zeigenden Füßen. Dadurch bekommt die Figur eine minimale Drehung. Niemals wirkt sie starr oder angewurzelt. Der Blick des Wagenlenkers ist konzentriert und in die Ferne gerichtet. Man kennt diesen Gesichtsausdruck von Autofahrern, von Taxifahrern, besonders wenn sie das ganze Auto voller betrunkener Fahrgäste haben ... Niemals gelingt es dem Fahrgast, dem Blick des Lenkers habhaft zu werden.

Die Autoren der archäologischen Fachliteratur zum delphischen Wagenlenker meinen, den kurzen Moment vor dem Start wiederzuerkennen, in dem der Sportler seinen gesammelten Siegeswillen auf das Ziel ausrichtet. Einige sagen aber auch, es sei der Moment nach dem Sieg.
Vorher oder nachher -  das ist eigentlich egal, so ein Wagenlenker ist viele Rennen gefahren, wenn er sich nur aus den tödlich gefährlichen Karambolagen an den Wendepunkten der Rennbahnen heraushalten konnte.

Das wohl schönste Moment an der Figur ist die Hand, welche die Zügel fasst. Gestreckter Daumen und locker gebeugte Finger, in denen fast nachlässig der Zügel schwingt.

Das Händische ist überhaupt ein wesentlicher Aspekt an der Faszination für Lenker-Metaphern: der Mensch denkt Gott lenkt, oder die Finger im Spiel haben, oder die Hand drauf haben, o. ä. jedenfalls geht es um Freihändigkeit, denn, wem die Hände gebunden sind, kann viel reden ohne zu steuern. Jeder ist seines Glückes Schmied, dieser Gemeinplatz schildert die Abhängigkeit zwischen Handgreiflichkeit und dem souveränen Begriffenhaben aufs Possierlichste.

Die allgemeine Auffassung des Wagenlenkers von Delphi ist, dass dieser den Willen zum Siegen zum Ausdruck bringt. - Das hört sich ja toll an. Auf Schopenhauers Schotterpisten nimmt sich das gleich prosaischer aus. Er sagt: "Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will."

Wie dem auch sei, jedenfalls kann man nicht sagen, ob er schon mal gewonnen hat, ob er gewinnen wird oder ob er gedopt ist, Spezialfelgen hat wie Ben Hur, oder von Intrigen zu Fall gebracht werden wird. Er fährt nicht, er startet möglicherweise bald ...
Entscheidend an dieser Darstellung ist, dass der Wagenlenker nicht fährt, also auch eigentlich nicht lenkt, andernfalls müsste sich der Chiton, sein Gewand, dynamischer um den Körper fälteln... diese berühmte Skulptur, der Wagenlenker unter den Wagenlenkern, lenkt nicht, sondern - und das verschafft ihm die Führungsposition - er evoziert beim Betrachter die Möglichkeit der Steuerung.


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