Nora Sdun:

Der Wagenlenker von Delphi

EINSTELLUNGSRAUM e.V. 23.06.2006



Foto Wagenlenker von Delphi

Zeichnung nach dem Wagenlenker von Delphi,
um 470 v. Chr. Bronce, Höhe 180 cm


Einführung

Ich beginne mit einer Probebohrung in der Logik des Gemeinplatzes vom Wagenlenker.
(Dazu wird ausgeteilt ein Motorradquartett: a) weil der Wagenlenker von Delphi eine Quadriga steuerte, und b) weil man sich den modernen Wagenlenker analog zur Antike wie einen Motorradfahrer denken kann. c) Alle Spielkarten sind auf ihrer Rückseite neutral, dort habe ich den delphischen Wagenlenker hingeklebt, es geht um Potentialität, der Anblick der ruhenden Gestalt verschafft dem Betrachter bereits ein Reißen in den Gliedern...)

Jede standesamtliche oder kirchliche Trauung, bemüht den Topos der Fahrt, des gemeinsamen Durchquerens von Unwettern und Kalmen ... lässlicher Kitsch. Die ewige Bereitschaft an den Fortschritt zu glauben, fesselt den Westeuropäer an Szenarien der Fortbewegung. Eine Sehnsucht nach der Benamselung treibt wilde Blüten der so namentlich gemachten Steuerung dieser Bewegungen. Es kommt ein Schiff gefahren. Sogar Theo wir fahrn nach Lodz atmet etwas von der Vorstellung, dass sich das Glück am liebsten in einer ständigen Beweglichkeit findet, Sport tut Deutschland gut, werden wir von den Plakatwänden herab belehrt. Und jedes Managermotivationsprogramm lässt sich mit antiken Wagenlenker-Aphorismen aufbrezeln.
Vergleiche machen glücklich. Hinkende Vergleiche machen noch glücklicher.

Der Wagenlenker von Delphi
Die Rezeption der Plastik des Wagenlenkers von Delphi wird sich im Laufe der Jahrhunderte geändert haben. Um 478 v. Chr. waren die Pferde bestimmt interessanter als der Wagenlenker. Der Wagenlenker ist, prosaisch gesprochen, so etwas wie ein Jockey, gedungen und belohnt, sogar mit Ehren überhäuft, aber eingesetzt von einem reichen Mann, der einen Rennstall hat, Pflege und Zucht der Pferde ist in jedem Fall teurer als das Personal. Die Darstellung des Wagenlenkers von Delphi korrespondiert exakt mit dem äußeren Anlass ihrer Stiftung: dieses Standbild ist errichtet in Erinnerung an einen Sieg im Vierergespann, und nicht weiter metaphorisch.
Nun ist das Gespann unter den Felsblöcken eines Erdrutsches zermalmt und übrig geblieben ist lediglich der Wagenlenker, ein junger Mann - ein Apoll, der als metaphorische Gestalt, als Steuermann alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.

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