Womit an dieser Stelle eine Rückkehr zum Ausgangspunkt, den „Dithmarscher Tänzen“ möglich ist. Auch in der Darstellung von Tanzschritten, die neben den zeichnerischen Darstellungen mittels Stücken von Klebmasse auch als Bodenarbeit im Schaufenster ausgelegt sind, handelt es sich um Formationen, die aus Folgen stere- otyper Bewegungen abgeleitet sind. Bei den „Dithmarscher Tänzen“ würde man allerdings nicht von einer Choreografie sprechen, sondern die Fußspuren als eine zeichnerische Improvisation ansehen, die ein „als Ob“ des Tanzens darstellen, das vielleicht auch im parodistischen Sinn gemeint ist. Die Zeichnungen bilden keine Notationen von Tänzen, sondern sind eine Abstraktion von Tanznotationen, die zu absurden und unmöglichen Bewegungen führen würden, wenn man sich darauf einließe. So kommt es vor, dass rechtes und linkes Bein über Kreuz gehen müssten, was beim Hüpfen zur Folge hätte, dass Tänzer und Tänzerin umfallen. Andere kreuzweise Schritte legen sogar einen Austausch der Beine nahe. Selbst die unterschiedlich großen Füße nähern sich infolge der stereotypen Wiederholungen der Sohlen und Absatzformen in Größe und Umriss an. So erzeugen sie ein Bild der Gesellschaft, deren Elemente/Cluster sich vertauschen, deren Regeln ständig neu ausgelegt werden und die wegen der schnell wechselnden Bedingungen kaum zum Konsens taugen.

Von außen betrachtet scheinen die Bewegungen der jeweiligen Formationen wie die im trocknenden Lack auftretenden Wölbungen, Risse und Falten zufällig und unkoordiniert. Das Bild freilich führt, wie es die Lebewesen und Objekte zeigen, die Eichhorn in verschiedenen Serien mit stereotyp angebrachten Farbtupfern auf schwarzen Hintergründen herstellt, zu Tiefseeorganismen und wimmelnden Schwärmen. Lässt man sich auf diese Assoziation ein, so bilden diese als Lebewesen durchaus sinnvolle Formationen von Zellen, die unter extremen Bedingungen (z.B. in der Tiefsee) ihre Überlebenschancen wahrnehmen und verbessern. Meeresbiologen halten die vertikale Migration der Meerestiere, die Nachts aus der Tiefsee zum Fressen in höhere Wasserschichten aufsteigen und sich Tagsüber wieder in die Schutz bietende dunkle Tiefsee zurückfallen lassen, für die größte Migrationsbewegung2  auf unserem Planeten.
Die Rationalisierung des Lebens der Meeresbewohner findet in der rationalisierten Farb- tupfenmalerei Eichhorns ein Echo, in dem eine tiefe Verunsicherung nachhallt, und der Suchen nach neuen Strategien des Lebens gewidmet ist.
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Umwege und Treppen
Was hat diese Ausstellung mit Treppen zu tun?
Wo ist die Vertikalität der Bewegung, wenn es sich um „UMWEGE“ handeln soll, die sich, wie ich es verstehe, eher infolge einer konsequenten Verweigerung des Aufsteigens ergeben. Vielleicht ist es eine typische Erscheinung des Flachlandes, wo man es eigentlich nicht gewohnt ist, sich mit Bergen auseinander zu setzen. Wo es höchstens Gebäude und Wälle, Deiche und Mauern gibt, die den Weg durch die Ebene behindern und Umwege erzwingen, hat die Vertikalität eine andere Bedeutung als im Bergland.

Verbunden mit Sturheit bevorzugen Flachländer eine andere Strategie zur Überwindung geologischer Hindernisse. Während Alpinisten darauf aus sind, sie zu übersteigen, sieht ersterer die Alternative darin, sie zu umgehen. Allerdings kennt auch die Küste Vertikalität, die zweifellos von der Nähe des Meeres inspiriert ist: Das Abtauchen.

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IV. Striche und Punkte als Massenphänomen
Nachdem wir gesehen haben, dass sich Eichhorn durch seriellen Einsatz seiner Malmittel ein Repertoire von abstrakten Formen erarbeitet hat, zeichnet sich auch deutlicher ab, mit welchen Mitteln Jurszo seine Malerei erneuert hat. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass wirtschaftlicher Druck und technische Neuerungen dies erzwungen hätte. Erinnert sei nur an die Ablösung der Wandteppiche durch die Leinwandmalerei, die Entwicklung der impressionistischen Malerei durch die Erforschung der Wahrnehmung des Auges sowie die veränderten Auffassungen von Realismus durch die Ausbreitung der Fotografie. Seit einigen Jahren erleben wir eine Revolution in der Fototechnologie. Die digitale Fotografie und die Weiterentwicklung von Plottern ermöglichen eine Druckqualität, die in der Farbtiefe die
2 Deep Blue, (, Film), R.:Alastair Fothergill, Andy Byatt, D/GB 2003, Themenbereich 17 (1:15:05) „Die vertikale Wanderung: Myriaden von Tiefseeorganismen schwimmen jede Nacht an die Oberfläche, auf der Suche nach Nahrung: die größte biologische Migration überhaupt.“
Vernissage                                                  
Die 09. Ausstellung im Jahresprojekt  Autos fahren keine Treppen  des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg 
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