Das Futur II ist das sprachliche Mittel für diejenigen, die in der bestehenden Ordnung, in dem Raster der Gesellschaft, am Rande stehen, als Minoritäten, am kürzeren Ende des Hebels. Wenn sie sprechen, Frauen, Ausländer, Arbeitslose, … so ist es ein Sprechen vom Rand her, aus der Perspektive des Außenseiters, des Ohnmächtigen.
Der Gebrauch des FUTUR II kann ein Sprechen sein, das die Ordnung in Frage stellt. Sprechen als ein emanzipatorischer Akt. An dieser Stelle ist es angebracht, die Künstlerin selbst zu zitieren, die schreibt:

„Was für Freiräume lässt … nun aber das Futur II entstehen? In seiner grammatikalischen Form signalisiert es eine vorwegnehmende Einschreibung. Diese Figur beschreibt etwas, was gewesen, etwas, was sich in der beschrie- benen Weise ereignet haben wird. In der Form steckt also das Potenzial des Rück-Einschreibens: Indem sie durch ihre Erzählung der Zukunft in einer Gegenwart diese Zukunft bereits als gewesene beschreibt, schreibt sie die Zukunft der Gegenwart ein.“1
Der Punkt, so ANna Tautfest weiter, ist, daß das, wovon behauptet wird, daß es in der Zukunft stattgefunden haben wird, wie ein Rückstoß auf die Gegenwart wirkt, auf das Hier und Jetzt, das gezwungen wird, sich zu dieser Behauptung über seine eigene zukünftige Vergangenheit zu verhalten: Dadurch hinterlässt das, was als Möglichkeit in der Zukunft liegt, bereits seine Spur in der Gegenwart, wie der Abdruck einer Hand an den Stäben des Gitters oder den Fugen des Rasters, als Spur einer Zukunft in der Gegenwart, die sich dadurch bereits geändert hat. So ist ein Anfang gemacht, immerhin, ein Anfang, so wie Sie selbst einer sind, wie Hannah Arendt meint, wenn sie schreibt:
„Der Neubeginn, der mit jeder Geburt in die Welt kommt, kann sich in der Welt nur darum zur Geltung bringen, weil dem Neuankömmling die Fähigkeit zukommt, selbst einen neuen Anfang zu machen, d.h. zu handeln...“2
Behaupten Sie etwas, im Futur II, etwa, daß im Jahre 2030 das letzte Automobil mit Verbrennungsmotor vom Band gelaufen sein wird, oder daß im Jahr 2040 der erste weibliche Papst gewählt worden sein wird, dann haben Sie immerhin schon einen Anfang gemacht: Sie haben die Gegenwart gezwungen, sich zu seiner zukünftigen Vergangenheit zu verhalten. Abstrakte Relationen wie die von Figur und Hintergrund, von Rahmen und Fragen, und sperrige sprachliche Figuren wie das Futur II haben praktische Konsequenzen; vor allem bergen sie auch das Potential für Veränderungen in der Zukunft. Das machen die Arbeiten von ANna Tautfest ästhetisch erfahrbar.

Wenn Sie also suchen, nach einem solchen Potential, und wenn auch Sie, wie hier als Zuschauer und Zuschauerinnen im EINSTELLUNGSRAUM, eher vom Rand her sprechen, dann machen Sie in Zukunft doch einmal Gebrauch vom Futur II, so wie ich heute davon gebraucht gemacht habe, und Sie werden sehen: Das Verhältnis von Grund und Figur, von Rahmen und Handlungsmöglichkeiten ist keineswegs
fixiert, determiniert, vorgegeben, auch wenn man Ihnen gerne das Gegenteil weismachen will. --

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

1 ANna Tautfest, Es wird gewesen sein. Möglichkeiten vorwegnehmender Einschreibung in Janelle Monáes  Musikvideo Many Moons, in: Visualität und Abstraktion/ Eine Aktualisierung des Figur-Grund-Verhältnisses, Hanne Loreck (Hg.), in Zusammenarbeit mit Jana Seehusen, Hamburg, 2017, 190-209, 192-3.
2Hannah Arendt, Vita activa, 2016 (1967), München, S. 18.
Die 03. Ausstellung zum Jahresprogramm Regeln regeln. Regeln regeln! 2019 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Präsentation
Vernissage
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