ANna Tautfest – Out of alignment
Einführung in die Ausstellung von ANna Tautfest, 10.04.2019
Dr. Sonja Schierbaum 


Meine sehr verehrten Damen und Herren,
suchen Sie etwas? Einen Halt, für Ihre Augen, wenn Sie den Blick wandern lassen durch den EINSTELLUNGSRAUM, worauf trifft er dann, Ihr Blick, von Ihrem Platz aus, haben Sie einen guten Platz erwischt? Können Sie gut sehen? Aber was wollen Sie sehen, in diesem Augenblick, etwa mich? Können Sie mich sehen? Bestimmt, denn ich bin ja groß genug, und immerhin bin ich überhaupt etwas, und nicht vielmehr nichts – das ist die Frage, die sich Parmenides stellte, ein alter Grieche, noch älter als Sokrates, warum ist überhaupt irgendetwas und nicht vielmehr nichts? Aber das war in einem ganz anderen Rahmen, zu einer anderen Zeit, daß sich die Frage stellte; so wie ich mich heute Abend vor Sie hinstelle, stellen sich die Fragen immer nur in einem bestimmten Rahmen, zu einer bestimmten Zeit, da stehe ich nun also vor Ihnen, mit einer Frage, eine Figur vor einem Hintergrund, dem Hintergrund des EINSTELLUNGSRAUM.


Was ist zuerst da? - Die Figur oder der Grund? Der Rahmen oder die Frage? Rahmen, Raster, Koordinatensysteme, … Sie alle schaffen Ordnung! Sie räumen auf, Schluß mit dem bloßen Durcheinander, nicht von ungefähr ist Chaos der griechische Gegenbegriff zu Kosmos, dem Begriff für die (Welt-)Ordnung. So heißt es auch in den Schöpfungsgeschichten, den christlichen und den anderen, daß vor der Erschaffung der Welt zwar nicht nichts da war, aber irgendwie auch nichts so richtig, nur irgendein Wirrwarr. In jeder Schöpfungsgeschichte bekommt die Welt eine Ordnung, das macht sie verstehbar, denn die Geschichte wird ja erzählt, um verstehen zu können, die Welt verstehen zu können.

Wer erzählt die Geschichte? Wer darf Geschichten erzählen? Warum stehe ich jetzt vor Ihnen und erzähle Ihnen etwas, und warum müssen Sie mir zuhören, was Sie natürlich gar nicht tun müssen, niemand zwingt Sie dazu, nur die Höflichkeit gebietet ist … warum das alles? Woher kommt das Müssen, das Zwingen, das Gebieten?
– Rahmen, Raster schaffen also eine Ordnung, im Kleinen wie im Großen.

Haben Sie schon einmal bemerkt, daß auch der EINSTELLUNGSRAUM gerastert ist, ein Raster hat, das ihm eine Ordnung verleiht, die vielleicht gar nicht seine eigene ist, jedenfalls nicht mehr, sondern noch aus einer Zeit stammt vor ihm, als der EINSTELLUNGSRAUM noch ein Blumenladen war, das Raster bildet sich ganz natürlich, die Fugen zwischen den Fliesen bilden natürlicherweise ein Raster, aus Fugenkitt, der Kitt, der den Laden „im Innersten zusammenhält“; „natürlich“ heißt hier, „ganz gewöhnlich“, kaum etwas scheint so banal wie die Fliesen in einem Blumenladen, der keiner mehr ist, sondern ein EINSTELLUNGSRAUM, in dem es auch um Einstellungen geht, um Ihre nämlich, Ihre Haltung, wenn Sie so wollen, gegenüber dem, was sich Ihnen hier präsentiert. Wenn Ihnen dies bisher gar nicht bewusst war, so werden Sie nun durch die Keramikarbeiten von ANna Tautfest darauf aufmerksam gemacht.

Was ist zuerst da? Der Rahmen oder die Frage? Die Figur oder der Grund? – Dies ist, so meine ich, die Frage, zumindest eine Frage der Künstlerin, deren Arbeiten heute Abend hier zu sehen sind, unter dem Titel Out of alignment – was man übersetzen könnte als Aus den Fugen geraten, und was ist da aus den Fugen geraten? Eine Ordnung, die Ordnung, die Welt gerät aus den Fugen oder ist es schon, eine gängige Redewendung, eine Phrase, die man drischt, ohne zu wissen, was man genau damit meint, und doch: Die Geschichte von der Verstehbarkeit als Kitt, der die Welt durch den Akt eines guten und weisen Schöpfers „im Innersten zusammenhält“, er scheint seine Überzeugungskraft verloren zu haben. Wer kann heute so noch die Welt verstehen …
Aber darum geht es der Künstlerin nicht, oder jedenfalls nicht nur. Ihre Frage ist vielmehr eine, die die Bedingungen von Rahmen oder Rastern selbst betrifft, genauer, die Relation zwischen dem, was den Rahmen ausmacht und dem, was innerhalb dieses Rahmens stattfinden oder geschehen kann: Wie verhält sich die Frage zum Rahmen? Wie die Figur zum Grund? Können die Fragen auch den Rahmen ändern oder gibt der Rahmen die Art der Fragen vor, die überhaupt sinnvoll gestellt werden können? Kann die Figur den Hintergrund ändern, vor dem sie erst sichtbar wird?
Was ist also zuerst da? Der Rahmen oder die Frage? Die Figur oder der Grund? Es ist eine Frage nach der Priorität, die keine zeitliche ist, wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Auch ist die Frage nach dieser Priorität keine rein akademische, sondern hat handfeste Folgen für jeden von uns: Wer den Rahmen vorgibt, hat das Sagen, denn er gibt vor, was
Die 03. Ausstellung zum Jahresprogramm Regeln regeln. Regeln regeln! 2019 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Präsentation
Vernissage
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