Die Verfechter des Determinismus, der sich vor allem in Form des historischen Materialismus ausgeprägt hat, auf der einen Seite, auf der anderen die Verfechter des Possibilismus, dessen Logik besonders im Strukturalismus von Claude Levi-Strauss seinen kulturtheoretisch einflußreichten Ausdruck gefunden hat.
Während die Deterministen die Kultur lediglich als das Ergebnis eines Anpassungsprozesses an die natürlichen Gegebenheiten und Ressourcen betrachten und davon ausgehen, daß Dinge und Beziehungen erst durch ihre Nützlichkeit und ihr Verhältnis zu den Ressourcen ihre kulturelle Bedeutung erlangen, gehen die Possibilisten davon aus, daß die materiellen Kräfte erst durch ihre Integration in die kulturellen Bedeutungsschemata wirksam und für den Menschen relevant werden.
Das heißt, daß sich der Mensch nicht, wie der Historische Materialismus postuliert, durch seine Arbeit selbst erschafft, sondern daß der Akt der Arbeit selbst bereits durch eine vorher bestehende kulturelle Struktur determiniert wird.
Während nach Anschauung der Kulturmaterialisten schließlich Individuen oder Machteliten an der Spitze der Hierarchien stehen, die durch Erschaffung, Erhalt oder Manipulation eines Status Quo versuchen, ihre Machtstellung zu festigen oder auszubauen, steht nach Anschauung des Strukturalismus die kulturelle Struktur selbst im Mittelpunkt, der die Individuen in erster Linie durch bewußte Reproduktion ihrer Bedeutungsmuster dienen.

Die Antwort auf die vorher gestellt Frage nach der Ursache des Zustands der Welt würde also im Sinne der Kulturmaterialisten lauten:
Machteliten führen durch Steuerung des sozio-ökonomischen Gefüges all diese furchteinflößenden Zustände bewußt herbei, um ihren Reichtum und ihre Macht zu mehren.
Strukturalisten müßten hingegen argumentieren: all diese Erscheinungen sind von den Mitgliedern unserer Gesellschaft bewußt und gewollt reproduzierte Strukturelemente unserer Kultur.


Beides scheint kaum annehmbar. Weder scheint es plausibel, das es Individuen möglich ist, die in eskalierender Entropie befindliche und unglaublich komplexe menschliche Zivilisation tatsächlich zu kontrollieren und zu steuern - sieht man sie doch bereits bei der Planung und Kontrolle von viel weniger komplexen Vorhaben scheitern - , noch scheint es glaubwürdig, daß eine große Gemeinschaft von Menschen sich darauf geeinigt hat, diese dem Individuum unerträglichen Zustände gezielt zu reproduzieren.

In diesem Sinne beschreibt ein Zitat von Oskar Kokoschka, auf das sich Werner Schöffel gerne bezieht, die Masse als instinktlos, das Individuum hingegen als ohnmächtig.
Doch was ist es dann, was das Vorgefundene hervorgebracht hat?

Im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jhd. haben sich zahlreiche Theoretiker daran versucht, die Unvereinbarkeit dieser beider Ansätze zu überbrücken.
Neben Pierre Bourdieu ist vor allem Anthony Giddens bekannt geworden, der mit seiner vom französischen Neo-Marxismus beeinflußten Theorie der Strukturation versucht hat, das Spannungsfeld zwischen dem Individuum und der Gesellschaft zu überbrücken.

Er stellt einerseits das fortdauernde Handeln des Individuums in den Mittelpunkt, andererseits dessen Motivation, denn „gemäß der Theorie der Strukturation haben soziale Systeme keine Absichten, Zwecke oder Bedürfnisse welcher Art auch immer, nur Menschen haben diese.“
Die Konsequenzen der Summe dieser individuellen Handlungen verdichten sich zu Strukturen, die mit den primären Handlungsabsichten und -gründen allerdings nichts gemein haben müssen.


Dieses Phänomen wird sehr bildhaft vor Augen geführt durch ein Blatt, auf dem Werner Schöffel mittels GPS-Tracking seine Bewegung durch Hamburg aufgezeichnet hat. Handlungsabsicht war die Suche nach Motiven für die Ausstellung. Zu diesem Zweck nutzte er verschiedenste Verkehrsangebote wie Bus, Bahn, Carsharing und StadtRAD. Mit der Suche verband er auch andere alltägliche Verrich-tungen wie  einzukaufen, Freunde zu besuchen oder spazieren zu gehen. Als eine bleibende Konsequenz und Spur der Handlung sehen wir jedoch ein Blatt mit einer abstrakt anmutenden Linienführung vor uns, die in dieser Form nicht beabsichtigt war, sondern eine ungeplante Konsequenz darstellt.

Zwar sind die Machteliten, wie der Historische Materialismus sie beschreibt, darauf erpicht, diese individuellen Absichten und Bedürfnisse im Sinne ihrer eigenen Machtausübung so gut es geht zu Manipulieren und zu Kanalisieren, aber  nicht, um die vom Individuum unbeabsichtigten Spuren hervorzubringen, sondern jeweils nur im Dienste der wiederum eigenen individuellen Bedürfnisse und Absichten, die sich nicht zu Absichten eines „Systems“ verdichten.
Der Bankier, der Vorstand eines Pharma-Konzerns oder der Ölmagnat will durch seine Handlungsweise nicht den individuellen Tod von ihm unbekannten Menschen im Sudan, Somalia oder im Irak herbeiführen, er will lediglich über mehr Geld für Investitionen verfügen, das Gefühl individueller Macht und Potenz mehren und bestätigt finden oder ganz schlicht eine neue Segelyacht kaufen oder eine neue Geliebte beeindrucken. 
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