Einführung to return to mind, 09.08.2013
Prof. Heinz Lohmann, Gesundheitsunternehmer und Kunstsammler

I
ch war vor rund 10 Jahren in eine Abiturklasse zu einem Vortrag eingeladen. Eine Schülerin, die mich kannte, hatte das arrangiert. Ich war davon ausgegangen, dass ich zum Thema „Gesund-heitsmarkt“ sprechen sollte. Am Abend vor dem verabredeten Termin habe ich in meinen Unterlagen so gegen 23.00 Uhr für den nächsten Tag einen Vermerk gefunden, aus dem hervor ging, dass es nicht um Gesundheit, sondern das Thema „Die 68-er“ gehen sollte. Außerdem las ich dort, dass ich einige Bücher und Fotos aus dieser Zeit mitbringen möchte. Diese doch sehr grundlegende Veränderung hat mir dann noch eine nächtliche Vorbereitungsstunde beschert. Mit den gewünschten Unterlagen habe ich mich am nächsten Tag auf den Weg in die Schule gemacht. Dorthin unterwegs habe ich darüber nachgedacht, wann die Schüler, zu denen ich sprechen sollte, wohl geboren seien. Meine Berechnungen ergaben, dass das so zwischen 1985 und 1987 gewesen sein musste. 1968 war für diese Schüler also bereits ein historisches Datum, ohne direkten persönlichen Bezug.

In meinem kleinen Vortrag im Leistungskurs Geschichte der Abiturklasse habe ich dann vorgetragen, dass für mich die Ereignisse 1968 nur verständlich werden, wenn man die 20 Jahre davor, genau genommen die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg insgesamt  betrachtet. Ich habe deshalb über meine ersten Kindheitserinnerungen in meiner Heimatstadt Emden in Ostfriesland berichtet. Diese Stadt ist im Zweiten Weltkrieg, im September 1944, durch einen Großangriff total zerstört worden. Die Innenstadt war zu 98 Prozent ausgebombt. An den Rändern der leergeräumten Straßen und Bürgersteige lagen Trümmergrundstücke und auf den ehemaligen Marktplätzen standen Baracken, in denen die Ladengeschäfte untergebracht waren. Ein solches Geschäft bestand regelhaft aus einem einzigen Raum mit einem Tresen und einem Verkaufsregal dahinter. Die Warenauswahl war außerordentlich beschränkt. Mitten in der Stadt war nur ein einzelnes Haus vollständig erhalten, das „Café Funke“. Ansonsten gab es gelegentlich auf den Trümmergrundstücken weitere Geschäfte und Wohnungen, die in den stehen gebliebenen Mauerresten notdürftig hergerichtet waren.

Von 1945 bis Anfang der 60-er Jahre ist über die Zeit des Zweiten Weltkrieges und des Naziregimes gesellschaftlich so gut wie gar nicht reflektiert worden. Es herrschte eine kollektive  Verdrängung des Durchlebten. Der Wiederaufbau dominierte und jeder war bemüht, ein kleines Stückchen vom „Wirtschaftswunder“ für sich selbst zu ergattern. Anfang der 60-er Jahre begann sich die Situation grundlegend zu verändern und die Lähmung, die bisher geherrscht hatte, wich einer neuen Offenheit. Ich selber bin, so habe ich es öfter schon formuliert, eigentlich ein „65-er“. Mitte der 60-er Jahre gab es einen gewaltigen kulturellen Aufbruch. Es war der „Neue Deutsche Film“  in Abkehrung von den Heimatschnulzen der fünfziger Jahre entstanden. In der Literatur gab es junge Autoren, die die Kriegszeit und die Naziherrschaft thematisierten. Langsam aber sicher wich auch die verklemmte Bürgerlichkeit und  es begann ganz vorsichtig das, was später die „Sexuelle Befreiung“ genannt wurde. Die 68-er-Bewegung war dann eigentlich nur noch die Politisierung, insbesondere an den Hochschulen, dieser bereits im Gange befindlichen Entwicklung. Der Studentenbewegung sind dann in den 70-er Jahren die Frauenbewegung, die Umweltbewegung und Vieles mehr nachgefolgt. Diese erste „Schneise“ in das Bemühen des Kollektiv-Vergessens in den 60-er Jahren hat also erhebliche Weiterungen nach sich gezogen. Mein persönliches „Wieder-Erinnern“ war für die Schüler absolutes Neuland. Nicht von ungefähr behandelten sie das Thema „Die 68-er“ in einem Geschichtskurs. Erstaunt waren die Schüler allerdings über meine Aussage, dass die Veränderungen, die 1968 gesellschaftlich angestoßen wurden, nichts gegenüber den Umbrüchen seien, die sie und nachfolgende Generationen jetzt am Beginn des 21. Jahrhunderts erleben würden. Aber gerade, weil das so sei, seien die Erfahrungen aus der Geschichte außerordentlich wichtig.
Der EINSTELLUNGSRAUM beschäftigt sich in diesem Jahr 2013 mit dem Thema SCHNEISEN. Das ist gut, weil es ganz wichtig ist, in einer gesellschaftlichen Situation des Umbruchs Reflexionen zuzulassen und Positionen zu beziehen. Geschichte ist nicht nur Vergangenheit, sondern sie ist Basis für Zukunft. Heute wollen wir die verschiedenen Aspekte des Begriffes „Schneisen“ in unterschiedlichen Herangehensweisen ausloten: mit Kurzvorträgen und  Diskussionen. Dank der interessanten Gäste wird es möglich sein, verschiedene Standpunkte und Erfahrungen in die Debatte einzubringen. Von der ganz handgreiflichen Position eines Försters am Beginn bis hin zur Betrachtung der Folgen der „Operation Gomorrha“ für die Nachkriegsgeschichte der Kunst spannt sich ein anregender Bogen.
Dokumentationsfotos
Freitag, 09.08.2013  18:00 - 21:00h
Gefördert durch die Kulturbehörde der Freien
und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek
back
next