Kommunikation im urbanen Raum, entledigte er sie aller Spuren des städtischen Lebens. Es fehlen ihnen nicht nur das Getöse des Verkehrs, sondern auch die Farben, alle unmittelbaren Hinweise auf den faktischen Ort und vor allem: die Menschen.

Auf den paarweise gehängten Schwarzweißphotographien sehen wir nackte Asphalt- und Betonlandschaften mit spärlicher Restvegetation still und leer unter grauem Himmel. Sie wirken irreal, fast gespenstisch. Der Blick sucht verzweifelt nach kleinsten Hinweisen auf Menschen und versucht, den sonst verdrängten, unansehnlichen Fakten urbaner Struktur auszuweichen. Warum?
Weil hier etwas in den Vordergrund geholt wird, das man lieber nicht sehen will, etwas, das man verdrängt, nicht nur weil es für das uns umgebende Kommunikationsgewebe irrelevant erscheint, sondern weil es uns, derart entblößt, sein ganze Häßlichkeit, seinen totalitären Charakter und die Brutalität seiner Funktion offenbart.
Mit einem mal sehen wir, welche massiven, prohibitiven Eingriffe die urbane Architektur in unseren Alltag vornimmt. Denn Architektur kann nicht nur Räume öffnen und gestalten und damit Handlungsspielräume schaffen, vor allem kann sie menschliche Aktivität verhindern, Kommunikation unterbinden, Sichtachsen blockieren. Und auf diese Weise wird sie im städtischen Kontext vorwiegend realisiert: als eine totalitäre Struktur, die eine freie Entfaltung des Lebens unterbindet, eine in ihrer Konsequenz lebensfeindliche Struktur.

Diese lebensfeindliche Eigenschaft der totalitären Sprache des Betons spielt tatsächlich auch in der Gestaltungsabsicht von Jost Hinrichsen eine Rolle. Er selbst erwähnte in einem vorbereitenden Gespräch im Zusammenhang mit Bildern von wie ausgestorben wirkenden Wohntürmen den Begriff der Todesmetapher.
Auch die Wahl des Mediums der Schwarzweiß-Photographie ist in diesem Sinne deutbar. Sie spricht unser kollektives Bildgedächtnis an, rückt das abgebildete in den Raum der Erinnerung, hin zum Vergangenen, zum Unabänderlichen, zum Toten. Wie von selbst evozieren die Beton- und Asphalt-Ensembles Erinnerungen an Ereignisse in der Vergangenheit, die die kalte Architektur an Grausamkeit sogar noch weit übertreffen.
Der Blick des Photographen, der sich durch eine brachliegende Fläche an eine trostlose Siedlung heranpirscht, weckt die Erinnerung an Konzentrationslager. Ein Eindruck der be-
stärkt wird durch die Korrespondenz mit der Photographie darunter, der einzigen, die Menschen zeigt. Auf ihr sehen wir eine Gruppe Reisender gebeugt, gesichtslos, mit Gepäck beladen davon streben, als wären es die Letzten, die aus einer bereits leeren Stadt deportiert werden oder aus ihr flüchten. Ihre leer zurückgelassenen Wohnsilos spiegeln sich wie Kenotaphe im Fluss Styx. Hier berührt sich die Assoziation vom historischen Grauen des Holocausts mit der dystopischen Vision einer post-apokalyptischen Welt. Zurück bleiben nur schwarzer, aufgebrochener Asphalt und eine leere Rampe, die auf eine öde Brache hinabführt.

Die gezielte Installation der Photographien greift diesen Gedanken auf: die erhaben hoch gehängte horizontale Reihe der Bilder wird durchkreuzt von einem vertikalen Absatz der Wand: ein Kreuz entsteht. Es ist nicht nur Symbol des christlichen Glaubens, sondern vor allem auch ein memento mori, ein Symbol des Todes.

Die Installation der zwölf Schwarzweißphotographien wird ergänzt durch eine Dia-Installation im Keller. Sie führt uns in einer großen Anzahl von Handy-Photos weitere weitgehend anonymisierte Un-Orte vor Augen, Orte inmitten unseres infrastrukturellen Systems, die dennoch so lebensfeindlich gestaltet sind, daß sie die Bedrohung, die Gefahr, den Tod geradezu auszubrüten scheinen. Es sind Orte, die man meidet, angstbehaftete Orte, die man flieht, die sofort Assoziationen mit Tatorten wachrufen, Orte, die an Mord, Überfälle, Vergewaltigungen oder Suizid denken lassen.
Die Serie beginnt mit geschlossenen Toren, Orten des Stillstands. Es folgt ein langsamer Aufstieg  durch Tiefgaragen, Parkplätze, Unterführungen, Treppen, U-Bahnhöfe, Gleiskörper, Asphalt, verlassene Tankstellen und Hinterhöfe und schließlich, nach vollendeten Aufstieg, zu Wolkenlandschaften, doch selbst die wirken dunkel und bedrohlich.
Diese Diafolge im steten Rhythmus wird, korrespondierend mit akustischen Artefakten in der atmosphärischen Tonspur von Thomas Hansen, durchbrochen von kurz aufblitzenden Bildern von Fleisch, Geflügel, Fisch, Blumen, Torten und anderen Objekten, die wie jäh hereinbrechende
Reminiszenzen einer sinnlichen, fleischlichen Welt wirken und dadurch die brutale Diskrepanz zwischen den gezeigten Orten und einem möglichen Leben noch drastischer aufzeigen.
Gefördert von der Kuturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek
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