EINSTELLUNGSRAUM e.V. Symposium 2022 autonom | autark | autistisch
Bereits vor Kant tat Christian Wolff (1679-1754) einen Schritt in die Richtung einer Moralbegründung ohne Gott, wenn vielleicht auch nicht ganz absichtlich. Denn er wollte gegen die Atheisten argumentieren, als er sagte, dass auch ein Atheist sich nicht herausreden kann, indem er sagt: die Moral gilt nicht für mich, denn ich glaube doch nicht an Gott. Denn nach Wolff gilt: jeder, der Gebrauch von seiner Vernunft machen kann, kann einsehen, was gut und was schlecht ist, unabhängig davon, ob er nun glaubt, dass Gott existiert oder nicht. Die Existenz Gottes ist gar keine Prämisse, von der die Moralität von Handlungen abhängen würde. Wolff schreibt:
„Weil die freyen Handlungen des Menschen durch ihren Erfolg, das ist, dasjenige, was dadurch veränderliches in dem inneren und äusseren Zustande der Menschen erfolget, gut oder böse werden, was aber aus ihnen erfolget, nothwendig daraus kommen muß, und nicht aussen bleiben kan; so sind sie vor und an sich selbst gut oder böse, und werden nicht erst durch GOTTES Willen dazu gemacht. Wenn es derowegen gleich möglich wäre, daß kein GOTT wäre, und der gegenwärtige Zusammenhang der Dinge ohne ihn bestehen könnte; so würden die freyen Handlungen der Menschen dennoch gut oder böse verbleiben, …“ Wolff, Deutsche Ethik §5.

Wolff wollte damit zwar nicht die Existenz Gottes leugnen, im Gegenteil, denn die Existenz der Welt hängt ja von Gottes Akt der Schöpfung ab; dies war aber ein willkommener Anlass für die Pietisten, Wolffs erbitterte Gegner, den Vorwurf des Atheismus gegen Wolff zu erheben und ihn schließlich aus Halle zu vertreiben, unter Androhung des Galgens. Wolff nimmt an, dass Menschen verpflichtet sind, nach der Vervollkommnung ihrer Natur als dem höchsten Gut zu streben. Es besteht nur deshalb Raum für Verpflichtung, weil auch die Möglichkeit des Irrtums gegeben ist, indem das, was „angenehm“ mit dem, was „wirklich“ gut ist, verwechselt wird. Daher kann Wolff sagen, dass wir eine Verpflichtung haben, nach Vollkommenheit zu streben.

Nach Kant, besteht der fatale Fehler von Wolffs Ethik in dessen Empirismus, denn sowohl der Begriff der menschlichen Natur als auch der Begriff der Vollkommenheit ist Kant zufolge nur abgeleitet aus „den Handlungen und Bedingungen des menschlichen Wollens überhaupt, welche größtenteils aus der Psychologie geschöpft werden.“ (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, G, 4:390-1). Deshalb stellt nach Kant das „moralische Gesetz“, das Wolff so formuliert: „Thue was dich und deinen oder anderer Zustand vollkommener machet; unterlaß, was ihn unvollkommener machet“. (Deutsche Ethik, §12) nur ein mehr oder weniger zufälliges Prinzip dar, aber kein moralisches Gesetz. Nach Kant soll jedoch die Metaphysik der Sitten „die Idee und die Prinzipien eines möglichen reinen Willens untersuchen.“ (Ebd.)
Damit sind wir wieder angekommen, am Anfang, bei Ihnen, den autonomen Subjekten, den Erben und Erbinnen von Kant und dem Anspruch eines unbedingten und notwendigen, allgemeingültigen und objektiven moralischen Gesetzes, das in der Vernunft begründet ist. Der Anspruch auf Absolutheit und Unbedingtheit scheint Ihnen aus heutiger Sicht sicherlich irgendwie überzogen, oder vielmehr, aus der Zeit gefallen… warum brauchen wir, als Menschen, eine Moral, die nicht nur für Menschen, sondern für alle „Vernunftwesen“ verbindlich ist?

Und doch mögen wir heute noch die Intuition haben, dass der Bereich des Sollens, als Bereich des autonomen Handelns, doch zu unterscheiden ist, wenigstens begrifflich, von dem Bereich des bloßen Seins; dass wir an Zimmerpflanzen oder Haustiere nicht die Art von Forderungen stellen, die wir an andere Personen stellen, nämlich dass wir als Personen auf eine bestimmte Art und Weise behandelt werden, hat sicher auch etwas damit zu tun, dass wir so etwas haben wie die Fähigkeit, auf unser eigenes Handeln zu reflektieren und zu denken, bevor wir etwas sagen oder tun… das mag man Vernunft nennen oder anders. Aber ohne dieses Vermögen haben wir auch nicht die Fähigkeit, autonom zu handeln.

Vielleicht reicht es ja doch, wenn die Maßstäbe, nach denen wir handeln, „nur“ für uns Menschen gelten, und nicht für alle Vernunftwesen.

Zumindest so viel muss klar sein: Wenn einem Automobil die Fähigkeit des autonomen Fahrens zugesprochen wird, wir das Attribut „autonom“ nicht zur näheren Beschreibung einer Person als einem autonomen Subjekt gebraucht. Menschen sind Personen, keine Maschinen, auch keine modernen „Bio“-Maschinen, nur darum kann nach Leibniz Gott, als Schöpfer, auch ein Verhältnis zu Menschen haben, welches eben nicht das Verhältnis „eines Erfinders zu seiner Maschine“ ist, wie Leibniz sagt, sondern eines, dass die Menschen als Personen adressiert. Wir brauchen letztlich nicht mehr als dieses Verhältnis zwischen uns als Personen, auch ohne Gott, um den Maßstab unseres Handelns als Menschen zu begründen.

Maschinen sind keine Personen, auch wenn sie sich dem Anschein nach manchmal personenähnlich verhalten mögen, und werden es niemals sein. Dies mag klingen wie eine bloße Behauptung, die so altmodisch ist wie die Idee der Aufklärung. Ich meine aber, dass wir in dem Moment, in dem wir Maschinen den Status von Personen zusprechen, etwas verlieren, und zwar unumkehrbar, und zwar, kurz gesagt, unsere Menschlichkeit. Das klingt vielleicht kitschig oder bestenfalls nostalgisch.
back next

Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek