sich,
es geht nicht nur darum, etwas in die Praxis umzusetzen, was
Sie sich vorher überlegt haben, so einfach ist das leider
nicht. Und bitte, glauben Sie nicht, ich wollte Ihnen weiß
machen, dass sich die Menschen im Mittelalter dieser Kluft
nicht bewusst waren, zwischen Sein und Sollen. Ich habe nur gesagt, dass die natürliche Ordnung nach mittelalterlicher Vorstellung ganz selbstverständlich beide Bereiche umfasst hat, und eben nicht nur den Bereich der materiellen, durch physikalisch-mechanische Gesetze beschreibbaren Dinge wie Apfelbäume und Automobile, so wie wir es heute gewohnt sind. Denn die Trennung dieser beiden Bereiche – des Seins und des Sollens – ist uns eben als Erben der Aufklärung bekannt und vertraut, ja, so vertraut, dass wir nicht einmal merken, dass es keinen Weg gibt vom einen und zum anderen, und von den Eselsbrücken im Zweifelsfalle nur die Esel bleiben, und das sind im Zweifelsfalle immer die anderen, natürlich, denn wer will schon verantwortlich sein für seine eigene Dummheit… Aber kommen wir zurück zu der Seinsordnung, die auch den Bereich der Moral, das das Sollen, umfasst. Diese ist nur möglich aufgrund einer Personalunion der Schöp-fung: nicht ein unpersönliches Ereignis wie der Urknall, sondern ein personaler Gott hat nach der christlichmittelalterlichen Vorstellung die Welt erschaffen. Gott war eine Person, wenn auch eine besondere, natürlich, mit der größten Autorität, die Sie sich vorstellen können. Wenn Sie aber davon ausgehen, dass die Welt von einer nicht nur vollkommen vernünftigen, sondern auch von einer im höchsten Maße gütigen und gerechten Person geschaffen wurde, dann wundert Sie nichts mehr: Da der christliche Gott sowohl Vernunft (intellectus) als auch Willen (voluntas) hat, und die Liebe (caritas) im Willen wohnt, auch und vor allem im göttlichen, ist dort eben auch Platz für Gerechtigkeit, und damit auch Platz für Gerechtigkeit und Recht und einem moralischen Gesetz in der Welt. Dieses moralische Gesetz gilt für Menschen, nicht für andere Lebewesen, aufgrund der Tatsache, dass dieser Bereich nur den Menschen zugänglich ist: Nur weil der Mensch das Vermögen der Vernunft besitzt, kann er die „moralische Ordnung“ und vor allem, das moralische Gesetz erkennen. Dieses Gesetz ist in der Natur begründet, und zwar in der „Natur des Menschen“. Demnach liegt es in der „Natur des Menschen“, dass er nach seiner „Glückseligkeit“ strebt; diese kommt bei Autoren wie Thomas von Aquin nicht ohne Gott aus, denn Gott ist eben das höchste Gut: etwas „Besseres“ gibt es nicht. Die Ordnung, die Gott in der Welt verwirklicht, ist eine teleologische, und das heißt, dass alles nach einem Ziel strebt, das ihm durch seine Natur gegeben ist. Das besondere an den Menschen ist, dass sie dieses aufgrund einer Vernunfterkenntnis und mit Bewusstsein tun. |
Weil Gott eben
auch eine Person ist, und nicht nur der Produzent der
materiellen Welt, wie der Urknall, ist er berechtigt, an den
Menschen Forderungen zu stellen, die moralische
Verpflichtungen begründen: Weil der Mensch ein Abbild
Gottes ist, insofern er über die Vernunft verfügt, ist er
nicht nur Teil einer Ordnung, die durch
physikalisch-mechanische Ursachen regiert wird, sondern auch
Teil einer anderen, moralischen Ordnung. Der Mensch als
moralisches Subjekt, als Person und Gott als „Gesetzgeber
und Oberherr der Welt“, wie die Autoren der Frühaufklärung,
vor Kant, sagen. D.h., bevor die Menschen sich überhaupt
zusammenschließen in staatsähnlichen Gebilden und sich
Gesetze ausdenken, sind sie aufgrund dieser Gegebenheiten
sowieso schon immer Gott als ihrem „Oberherrn“ verpflichtet. Auf diesem Verhältnis von Gott zu den Menschen beruht auch das Bild von dem sogenannten „Gottesstaat“, den schon Augustinus entwirft, im 4. Jahrhundert, und den später G.W. Leibniz aufgreift, wenn er schreibt: „Das befähigt die Geister (d.h. die Menschen, als Wesen, die einen immateriellen Geist haben), eine Art Gemeinschaft mit Gott einzugehen, dessen Verhältnis zu ihnen nicht nur das eines Erfinders zu seiner Maschine ist (Wie es für Gott in Bezug auf die anderen Geschöpfe gilt), sondern auch das eines Fürsten zu seinen Untertanen und sogar das eines Vaters zu seinen Kindern.“ Leibniz, Monadologie, §84Auch wenn Sie mit der Idee eines personalen Gottes nicht mehr viel anzufangen wissen, so ist doch bemerkenswert, dass hier der Kern einer Moralbegründung im interpersonalen Verhältnis steckt: Moral kann nur dort sein, wo es Personen gibt, und sie ist dann begründet in dem Verhältnis der Personen zueinander, genauer: weil wir Personen sind, sind wir berechtigt, die Forderung an andere Personen zu stellen, auch als Personen behandelt zu werden: moralische Verpflichtung ist in den Ansprüchen begründet, die wir einander als moralisch Handelnde zu stellen berechtigt sind. Das geht zur Not auch ohne personalen Gott. |
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