diesen
gleichzeitig nicht mehr bezeugen kann, da er ja tot ist.
Dieses Paradoxon der Zeugen-schaft lässt sich jedoch
auch auf weniger existenzielle Anlässe beziehen, da der
Schlüssel-moment - man könnte auch Drehmoment sagen -
den banalen Fakt der Nachträglichkeit des
Zeugnisablegens enthält. Das Zeugnis ist also ein Akt,
der immer schon die Retrospektive durch die Reflexion
eingenommen hat. Konkrete Erfahrung widersteht der
Zeugenschaft, oder wie es Brian O´Doherty beschrieb:
„die Künstler haben zwei Arten von Publikum: Das
Publikum, das anwesend war, und das Publikum, das nicht
anwesend war - und das sind in der Regel der Fälle wir.
(…) Das ursprüngliche Publikum ist also seiner Zeit
voraus. Im Rückblick wissen wir mehr.“ Das braucht Sie, verehrte Besucher*innen, aber nicht abzuschrecken, denn wenn gleich die erste der fünf Performances mit Elizabeth Wursts Publikumsinteraktion und Gesang beginnt, werden Sie feststellen, dass Ihnen das Anknüpfen an die Rezeption der künstlerischen Arbeiten leicht gemacht wird, haben diese doch viel mit dem alltäglichen Erleben, mit Dingen und Objekten aus der Natur und mit Identität zu tun. Insbesondere der Körper spielt in vielen Arbeiten eine große Rolle - und den haben Sie ja alle. Der Körper lässt sich als Medium einsetzen, etwa im Sprechakt oder in der Vorführung zwischenmenschlicher Beziehungen. Er eignet sich aber auch, um auf seinen Inhalt, seine Materialität hinzuweisen. Die Künstlerin Elizabeth Wurst etwa widmet sich dem wahrnehmbaren Außen des Körpers und bedient sich an Stereotypen und Elementen der Popkultur. Sie untergräbt und verfremdet diese Medien-bilder mit humorvollen Aktionen. In der gleich folgenden Aktion wird sie das Publikum und ihr einjähriges Kleinkind mit einbeziehen. Marita Bullmanns Arbeiten entstehen oft aus alltäglichen Beobachtungen, kostbaren Momen- ten, denen sie Zeit widmet. Sie nutzt ihren Körper als Übersetzungsmedium, um uns zu zeigen, wie unterschiedlich wir „Welt“ nicht nur erleben, sondern auch herstellen. Thomas Reuls Arbeit widmet sich „betrachterorientiert“ dem Körper des Publikums. Aus der Fotografie, vom „Stillen Bild“ her kommend, setzt er sich vor Allem mit alltäglichen Materialien wie Kopierpapier auseinander. |
Lala
Nomadas Serie „Coal Series“ ist eine
Auseinandersetzung mit Kohle, die die Künstlerin schon
seit 2014 verfolgt. Sie ist insbesondere an den
Assoziationen, die an den Körper der Kohle geknüpft
sind, interessiert, an der Materialität. Die amorphe,
schwarze Masse scheint Negativität zu absorbieren und zu
verkörpern. Der Körper als Medium steht auch am Freitag im Mittelpunkt, etwa in der Duo-performance von Anne Gelderbom und Surya Tüchler, die an animalisch veränderte Frauenfiguren denken lässt, aber auch Assoziationen an den „Drehmoment“ weckt, den der weibliche Körper in Schwangerschaft und Geburt erfährt. Frank Homeyers Arbeit „Vorstudie 1 zu HYPERION wird gefällt“, wird mit einer anderen Schwerpunktsetzung - als weitere Vorstudie - über 24 Stunden in der Galerie Koppelmann in Köln zu sehen sein. Die Hauptarbeit dazu dann in Folkstone auf dem WAKE Festival im September 2017. Evamaria Schallers Performances beschäftigen sich mit Zwischen-Räumen und starken weiblichen Figuren. Dass der weibliche Körper in vielen der Performances so eine große Rolle spielt, ist wichtig und richtig, denn während sich derzeit einerseits wieder vermehrt Diskurse zu geschlechterspezifischer Ungleichheit und Feminismus vernehmbar machen, trifft man ande- rerseits in zahlreichen Diskussionen auf die erstaunliche Überzeugung, dass die Emanzipa- tion sich längst durchgesetzt habe und eine abgeschlossene Sache sei. Dass dem nicht so ist, das wissen alle Frauen hier im Raum - insbesondere die jungen Mütter. Wie es die französische Le Monde kürzlich zusammenfasste: „Seit dem großen Sprung nach vorn werden Frauen immer freier: abzutreiben, zu arbeiten - aber auch, weniger zu verdienen.“ Der weibliche Körper ist also auch ein politischer, ein sozialer. Und um Soziales geht es schließlich auch wieder am Samstag: Am Samstagnachmittag führt ein gemeinsamer Spaziergang hinaus auf die Straße und in die Natur, Einzelperformances werden zu sehen sein und das Festival erreicht einen weiteren Höhepunkt mit einer Gruppenperformance aller beteiligten Künstler*Innen. Nun möchte ich uns allen viel Spaß wünschen und freue mich auf die Aktion von Elizabeth Wurst, mit der momentum nun beginnt! |
Performances |
Kuratorin
Surya Tüchler |
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Bezirk Wandsbek |