Drehmoment | Einführung in die Performancetage momentum
vom 20 - 22.07 2017 im EINSTELLUNGRAUM durch Yvonne Reiners
 
Das Drehmoment, von lateinisch momentum, Bewegungskraft, beschreibt die Drehwirkung einer Kraft auf einen Körper. Es ist eine physikalische Größe in der klassischen Mechanik und spielt für Drehbewegungen die gleiche Rolle wie die Kraft für geradlinige Bewegungen. Ein Drehmoment kann die Rotation eines Körpers beschleunigen oder bremsen und den Körper verbiegen oder verwinden. In Antriebswellen bestimmt das Drehmoment zusammen mit der Drehzahl die übertragene Leistung.

Marita Bullmann, Anne Gelderblom, Imma Helli, Frank Homeyer, Elke Mark, Lala Nomada, Thomas Reul, Nirmala Salom, Evamaria Schaller, Surya Tüchler und Elizabeth Wurst zeigen hier, im Rahmen der Performancetage „momentum“ Arbeiten, die sich, assoziierend und interpretierend, mit dem Drehmoment auseinandersetzen. Einige der Künstler*innen inter-essieren sich dabei nicht so sehr für die physikalische Bedeutung des Begriffs, sondern eher für den Moment, in dem sich etwas dreht, umdreht oder verändert.

Als die Performancekunst in den 1960er Jahren erstmals als eigene Kunstform in Erscheinung trat, drehte und veränderte sie das Feld der tradierten Kunstauffassungen vollkommen. Performance stellte die Präsenz des Körpers vor die Repräsentation des Werks, stellte Prozess vor das Ergebnis, die innere Erfahrung vor äußere Könnerschaft. Performances sind bis heute schwierig auszustellen, denn der Großteil der Arbeit ereignet sich erst durch die Begegnung und Teilnahme des Publikums.

Dies ist vielleicht das bezeichnendste an dieser Kunstform und unterscheidet Performance auch von einem anderen performativen Handwerk, dem Theater. Denn bei Performance geht es um „Echtheit“, um die Tatsache, dass alles Dargestellte tatsächlich in diesem Augenblick - und nur in diesem Augenblick geschieht. Oder wie es Marina Abramovic, eine der großen Performerinnen, treffend formulierte: „Ein Schauspieler verwendet beim Russischen Roulette Platzpatronen und spielt den Tod. Eine Performancekünstlerin dagegen nimmt eine geladene Waffe und riskiert ihr Leben.“
Während ich mich auf diese kurze Ansprache vorbereitete, klickte und wischte ich mich durch Websiten und vor allem durch Videoportale wie vimeo. Dort treffen Spuren und Dokumen-tationen von flüchtigen Ereignissen auf das Speichermedium unserer Zeit. Doch bei vimeo kann man zwar einen ersten Eindruck gewinnen von dem künstlerischen Schaffen der Künstler*innen. Es bleibt jedoch ein zweidimensionaler Ausschnitt, denn es fehlen die Komponenten „Raum“, „Zeit“ oder „Dauer“, das Flüchtende des Augenblicks und die oft spontanen Interaktionen zwischen Performer*in und Publikum, die die Erfahrung einer Performance ausmachen. Kurzum: Das Ereignis der Performance findet immer gerade jetzt statt, im Augenblick und hier. Die online zu findenden Dokumentationen sind nur Spuren dieses Ereignisses.

Dies liegt auch in der Geschichte der Performancekunst seit den 1960ern begründet: Mit dem Beharren auf der Einmaligkeit des Geschehens in diesem Augenblick wollte man damals den Verwertungsstrategien des Kunstmarktes entkommen. Heute gelingt dem Internet aber trotzdem etwas, was über die Dokumentation weit hinaus deutet: Es bringt in Netzwerken und Plattformen wie MPA-B, Month of Performance Art Berlin, PAErsche, Köln und nun hier im EINSTELLUNGSRAUM Künstler*innen zusammen, die aus Wien, Berlin, Hamburg, Köln und anderen Städten angereist sind, sowie aus Ländern wie Mexiko oder Amerika stammen.

Doch nun zu Ihnen, liebe Gäste, Besucher*innen und Besucher. Wir wissen, Performances entstehen und entfalten sich aus der Teilnahme und Bezeugung durch Sie alle hier, das Publikum, die Zeugen und Zeuginnen. Doch was bedeutet es, ein Zeugnis abzulegen, Zeuge oder Zeugin zu sein? Sind Sie Sich der Wichtigkeit ihrer Rolle bewusst, und wissen Sie auch, dass Sie im Anschluss an diese kurze Rede, wenn fünf Performances stattfinden werden, die jeweils 10 bis 20 min dauern, gleich zwei Aufgaben erfüllen müssen?

Ich spreche von dem Erleben der Performances und ihrer Reflexion, die im Falle der Zeugen-schaft nur scheinbar zusammenfallen, jedoch eigentlich zwei Entitäten bilden, die nicht inein- ander aufgehen können obwohl sie unauflöslich miteinander verknüpft sind.
Der italienische Philosoph Giorgio Agamben erwähnt den Begriff der Zeugenschaft in Bezug auf jene Erfahrung des Menschen, welche gleichzeitig mit seiner Auslöschung zusammenfällt – seinem Tod: Denn der Tote ist einziger Gewährsmann des Todes, der diesen gleichzeitig
Performances
Kuratorin Surya Tüchler
back
next
Gefördert von Behörde für Kultur und Medien der Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek