Ausgangspunkt hinein zu sehen, etwas zu konstruieren: Im Anfang war das Wort, das Tao, das kosmische Ei, in dem alle Erscheinungen des kommenden Universums bereits gespeichert sind, der kosmische Ur-Riese, aus dessen zerteilten Gliedmaßen die Welt geformt wurde, im Urgrund der Materie das „unteilbare“ Atom - und schließlich die Gottheit als Prime Mover der Existenz schlechthin.

Der Mensch versucht immer wieder sich dem Unwägbaren zu nähern, das Unnennbare zu benennen und das Unfaßliche zu begreifen.
Einen analogen Prozess vollzieht Almut Middel mit den Arbeiten der Ausstellung „ATOM“.

Auch bei Ihr stoßen wir auf das Motiv der Wolken, die sich einerseits zu massiven Gebilden von gewaltigen Ausmaßen und unglaublicher Komplexität ballen können, andererseits aber Sinnbild des ständig sich Wandelnden und Ephemeren sind, das weder in seiner Form noch in seiner Substanz fasslich ist.
Sie nähert sich ihrem Sujet, diesen Akkumulationen von kondensierten Wassertröpfchen, aber nicht mit einer Technik, die der Flüchtigkeit des Gegenstands entspricht oder wenigstens entgegenkommt. Ganz im Gegenteil: Sie wählt dazu mit einer deutlich aufscheinenden Ironie einen breiten schwarzen Comic-Strich. Es wird nicht der Versuch unternommen, die Formen realer Wolken nachzubilden, sondern die symbolhafte, dem menschlichen Maß angepasste Vorstellung einer Wolke. Ihr Comic-Chiffre wird in einem fraktal anmutenden Raport multipliziert und in die Tiefe des Bildes gereiht, so daß ein Tunnel entsteht, der den tiefen illusionistischen Bühnenprospekten barocker Theater ähnelt.

Doch wohin führt dieser Tunnel, welche Erkenntnis bringt die Wiederholung der fraktalen Akkumulation? Es ist nicht absehbar. Die Inszenierung des beherzten Zugriffs auf das Unfassliche mittels der klaren, fetten Pinselführung führt uns vor allem eines vor Augen: wie vergeblich das Bemühen ist, die unüberschaubare Komplexität in die Grenzen der Mesosphäre zu zwingen und dort zu ergründen.
Der Weg in das Wesen der Wolken führt zu: mehr Wolken, zu immer „mehr desselben“, wie Paul Watzlawick es ausdrückt, wenn der Mensch nicht imstande ist, sinnlose Wahrnehmungs-, Kommunikations- und Handlungsroutinen zu durchbrechen. Er produziert immer nur „mehr desselben“.

Dem Blick in das unendlich Vielgestaltige, sich Ballende und Selbstorga- nisierende, das nicht nur durch die Wolken, sondern auch durch die Objekte aus Bauschaum repräsentiert wird, ist der Blick in das unendlich Kleine gegenübergestellt, der Blick auf den Ur-Anfang, die ungeteilte Symmetrie, die am Beginn jeder Entwicklung steht: Das Unteilbare, die Singularität, die sich in die Vielfalt auflösen wird.
Schon in der Vorstellung der antiken Vorsokratiker war das Atom der kleinste, unteilbare Baustein aller Materie. Diese Vorstellung hielt sich über 2500 Jahre, bis schließlich Joseph John Thomson 1897 nachweisen konnte, daß die vorher schon bezeugten Elektronen Bausteine des Atoms sind. Sukzessive wurde das Atom in immer weitere Teilchen zerlegt, in Neutronen, Elektronen und Protonen, in Leptonen, Baryonen und Bosonen und weiter in Quarks, Gluonen und Gravitonen.

Doch bereits auf der Ebene der Elektronen vollzieht sich eine Zäsur, die für unser Verständnis der Wirklichkeit traumatisch ist: 
Ausstellung
Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek 
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