Annäherungen an das Unwägbare - Eröffnungsrede zur Ausstellung "Almut Middel - ATOM" von Dr. Thomas Piesbergen

 

In einem Aufsatz über den Determinismus stellte Carl Popper einmal die Metaphern der Uhr und der Wolke gegeneinander. Die Uhr stand für das deterministische Prinzip der Vorherbestimmung, die Wolke hingegen für das nicht-deterministische Prinzip des Zufalls. 

Die Gegenüberstellung dieser Bilder, übertragen auf unsere Wirklichkeit, wirft die Frage auf, wie es eigentlich kommt, daß aus einem sehr kleinen Kontingent determinierender Naturgesetze, die in unserem Realitätsausschnitt wirksam sind, eine unüberschaubar große Zahl und Vielfalt der Naturerscheinungen hervorgehen kann? 

Wie kann aus den einfachen, determinierenden Gesetzen der Physik etwas so hochkomplexes, amorphes, scheinbar nicht-determiniertes wie ein Wolke entstehen?

 

In den 70er und 80er Jahren des 20. Jhd. wurde diese Dichotomie zwischen dem Determinierten und dem Nicht-Determinierten durch die Einführung des Paradigmas der Komplexität aufgehoben, in der Populärwissenschaft auch gerne als Chaos-Theorie bezeichnet. 

Dieser Sichtweise folgend wird die Erscheinungswelt als eine Entfaltung von Algorithmen beschrieben, deren Funktion zwar determiniert ist, deren Entwicklung sich aber nicht linear, sondern fraktal vollzieht. Aufgrund der unabdingbaren Unschärfe der Ausgangssituation, auf die wir später noch zurückkommen werden, sind die Resultate der Prozesse nicht vorhersagbar, obwohl die Abläufe determiniert sind. Selbst bei Ausgangsbedingungen, die für unser Verständnis „gleich“ erscheinen, können unüberschaubar viele Erscheinungsformen realisiert werden, die ihrerseits wiederum nur eine kleine, durch das Milieu begrenzte Auswahl von unendlich vielen möglichen, aber nicht realisierten Erscheinungsformen darstellen. 

„Aus beliebig ähnlichen Anfangszuständen können sich - auch bei ganz einfachen deterministischen nichtlinearen Systemen - nach längerer Zeit völlig unterschiedliche Endzustände entwickeln.“
Der Widerspruch zwischen dem Determinierten und dem Nicht-Determinierten entpuppte sich also als eine Scheindebatte. Statt dessen stehen sich jetzt das Lineare, Geschlossene und Vorhersehbare auf der einen Seite und das Fraktale, Offene und Unvorhersehbare auf der anderen Seite gegenüber. Die Bildung von Wolken ist also ein determinierter Prozess, dessen Ergebnis sich aber aufgrund seiner Komplexität und seines fraktalen Charakters dennoch der Vorhersagbarkeit entzieht.
Neben der Komplexität ist weiteres Schlüsselwort der modernen System-theorie in diesem Zusammenhang von Bedeutung,  das aus der Thermo-dynamik in die Informationstheorie und von dort in die Systemtheorie über- führt wurde: die Entropie.
In der Thermodynamik bezeichnet man mit Entropie die Umwandlung geordneter Energie in ungeordnete Energie, vor allem die in isolierten Systemen langsam zunehmende Unregelmäßigkeit, die den linearen Prozessen des Systems zuwiderläuft und schließlich dazu führt, daß das geschlossene System zusammenbrechen oder sich auf einer höheren Stufe der Ordnung reorganisieren muß.
In der Informationstheorie ist die Entropie gleichbedeutend mit dem Informationsgehalt. In dem Moment, in dem etwas aus der geschlossenen und vorhersagbaren Form ausbricht, wird etwas Neues mitgeteilt: eine Information entsteht.
"Auf Herz reimt sich Schmerz.
Der Hut steht mir gut.
Im Haus wohnt die Maus.
Die Kuh, die macht Muh.“

Ausstellung
Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek 
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