Kurzschrift von Innen und Außen

Beim Betreten der vierteiligen Installation von Künne im EINSTELLUNGSRAUM steht man vor einem Paravent, der sich den Besuchern in den Weg stellt. Innehaltend schaut man sich um und erblickt rechts an der Wand ein quadratisches Bild mit blau geschwungenen Linien auf groben, zentrifugal zum Bildrand strebenden dunkelbraunen Pinselspuren, die von einer Grundierung aus Goldocker abgeperlt sind. Dieses Bild hängt über einer Wandmalerei aus horizontalen, unterschiedlich breiten, parallel laufenden zartgrünen Streifen, die sich über den Zwickel hinaus auch über die Trennwand ziehen, welche die Installation hinter dem Paravent nach hinten begrenzt. Auf diese Weise wird man durch den Engpass zwischen Paravent und linker Wand des EINSTELLUNGSRAUM geleitet und kann das auf einem menschenhohen Bock stehende Gebilde betrachten, das aus zwei Quadern besteht, deren Seitenflächen herausgeschnitten sind, so dass lediglich die verbliebenen abgerundeten Kanten und Ecken auf einer fragilen, durch ein Scharnier gehaltenen und leicht geneigten Plattform liegen.

Mit dem Paravent steht ein eindeutiges Element der Wohnkultur zur Verfügung, das in Innenräumen eine zusätzliche Abgrenzung und Intimität herstellt und eine symbolische Wiederholung der Grenze von Innen und Außen in den Raum zu schieben vermag. Stellschirme fungieren außerdem als Träger für Ornamente und Malerei. In diesem Fall breitet sich von links, also von der im Engpass aufgestellten Seite, ein japanischen Vorbildern folgendes Wurzelgeflecht oder eine Baumphantasie3  in der Dichte nach Rechts abnehmend über drei Segmente aus. Darüber ziehen sich hellblaue meandernde Linien, die denen auf dem Gemälde und der Einladungskarte ähneln. Auch die parallelen an Barcodes erinnernde horizontalen Streifen finden sich als Variation auf der oberen Hälfte des äußeren rechten Segments wieder. Die zwei oberen Streifen fassen Kringel aus pastoser grüner Farbe ein, die analog zum Wurzelwerk ein Stück Belaubung bedeuten könnten, die ausschnitthaft wie durch ein Fenster sichtbar werden. Derartige Assoziationen mit Naturdingen stellen sich  überhaupt 
erst ein, weil die wuseligen grünen und dick gestrichenen braunen Farbflächen einen Duktus erkennen lassen, der im Gegensatz zur vorherrschenden abstrakten Flächigkeit und zum konstruktiven Reduktionismus steht. Auf diese Weise verstärkt der Paravent bei seiner traditionellen Nutzung als Träger von Ornamenten und Landschaftsdarstellungen neben dem Spiel mit Innen und Außen auch das mit Konkretheit und Abstraktion, Natur und Architektur sowie Wucherung und Eingrenzung. Der Paravent, durch seine Funktion ein starker Bedeutungsträger, greift also verschiedene Ebenen der Architektur, des Urbanismus und der Koexistenz mit Natur in einer Kurzschrift modellhaft auf.

Unklar ist die Zuordnung des Gestells. Nur einige Details deuten  rudimentär auf seine Zugehörigkeit zur Innenarchitektur hin. Als Pult, auf dem das Doppelobjekt steht, ist es zu hoch. Durch die Aufstellung auf dem Bock wirkt es wie das Modell für ein Objekt oder als Ganzes gesehen für einen Turm und ist mithin nicht eindeutig einem Innen oder Außen zuzuordnen4. Auch wenn Modelle meist in Innenräumen präsentiert werden, sie aber für den Außenraum konzipiert sind, erschließt sich dem Betrachter eine  etwaige Funktionalität des Objekts, wie sie dem Paravent zugewiesen werden konnte, zunächst nicht. Daneben gibt es das Gemälde, dem wie auch dem Objekt keine bestimmte künstlerische Herkunft nachgewiesen werden kann. Die Installation vereint paradigmatisch Züge von Design, Malerei, Handwerk und Architektur (Modell) und bringt die für sich disparaten Elemente als Ensemble in eine darstellerische Position, die Fragen und einen Dialog auslöst.

Künne selbst bezeichnet ihre Installation als ein „modellhaft inszeniertes System“ und als solches ist es ja der eingangs gestellten Frage des Raums als Statement, Entwurf des Zukünftigen und Inszenierung von Vergangenheit zuzuordnen. Die dem barocken Denken nahe stehende Idee ist die Strukturierung von Räumen und ihrer Abfolge. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Die Fülle des Barocks basiert auf rationalen Plänen, die in die Aufklärung führen, weil die sich seinerzeit konstituierende Wissenschaft Möglichkeiten der Identifikation und Klassifikation zum Verstehen
3 Man vergleiche etwa Weiden, Brücke und Wasserrad eines unbekannten Künstlers aus der Momoyama Zeit (17. Jh.) Die Kunst des alten Japan (Mary and Jackson Burke Coll., New York) Ausst.-Kat. hg. von Gunhild Avitabile, Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main 1990, S. 90-91. Interessant ist, dass die aufwändigen Stellschirme aus der Momoyama-Zeit dem Geschmack neureicher Kaufleute entsprangen. Peter Pörtner, Japanische Wolken und Wolkenbilder, in: Zeit-Wege Himmel-Pfade, hg. von Li Portenlänger, Eichstätt 2010, S.85-105, 103.
4 Im Ausstellungsraum im Keller ist ebenfalls ein turmartiges Objekt mit dem Titel "Schleuder" ausgestellt.
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