ruhenden Rudimente von
Quadern ursprünglich geometrische Körper. Als Gefäße
gesehen könnten sie etwas beinhaltet haben. Sie erinnern
daher auch entfernt an lädierte Fassungen eines
Aquariums oder an aufgeschnittene Kanister. Das
Heraustrennen der Seiten zerstörte allerdings ihre
Funktion als Behälter, dessen Inneres nun einsehbar
gemacht wird. Und wie man an den teilweise verschobenen
und verbogenen Kanten beobachten kann, führen die
entfunktionalisierten Rahmen ein ästhetisches
Eigenleben. Das hat auch mit deren Materialität zu tun,
die aus einem Teig von ge- schreddertem Papier,
Polyester und Lack auf einem Drahtgitter gebildet ist.
Die ursprüngliche Stofflichkeit des darin recycelten
Stoffs, hier etwa die eines Kartons, wird zerkleinert
und zu einer Masse verarbeitet, die über einem Gitter
appliziert in ein neues Objekt überführt wird. Auf diese
Weise entsteht eine Plastik, die nach dem Erstarren
durch Abtragen - also einen bildhauerischen Eingriff -
teilweise wieder zerstört wird. Die Seiten werden
herausgeschnitten, wodurch sich auch an diesem Objekt
das bereits am Paravent beobachtete Spiel mit Innen- und
Außenraum wiederholt. Das Aufschneiden legt zudem zwei
Ebenen frei. Die deckende Masse wird weiter
ausgeschnitten als das Drahtgitter, so dass die Drähte
wie Stacheln aus der Schnittkante herausragen und
sichtbar bleiben. Die nun bewirkte simultane
Einsehbarkeit von Innen- und Außen demonstriert nicht
nur die Arbeit der Künstlerin an dieser Schnittstelle,
sondern schafft auch eine Gefährdung. Die Spitzen der
Drahtstacheln könnten die Haut ritzen, sollte jemand die
haptische Wirkmöglichkeit der Plastik physisch prüfen
wollen. Doch auch ohne in das Objekt hineinzugreifen, um
die glatte, durch weiche hellblaue Lackschichten
verfeinerte, innere Oberfläche zu berühren, macht sich
die Verletzungsgefahr durch die rhythmische Feinstruktur
visuell bemerkbar. Diese Synästhesie unterstreicht
die dynamischen Möglichkeiten des Gebildes, dessen
Kanten aus ihrer Funktion, einen Quader zu begrenzen,
herausgebogen und verformt werden. Teilhabe durch Destruktion Trotz dieser Beschreibung und der ausgelösten Assoziationen fehlen Anhaltspunkte für Herkunft und Bedeutung des Objekts. Ein Foto des durch Bomben zerstörten Nationaltheaters in Mannheim, das Künne an den Anfang von „Fehler im Lauf der Dinge“ |
gestellt hat,11
legt eine Spur. Es zeigt
die Trümmer des Gebäudes und gibt den Blick auf
verbogenen Stahl frei, der wohl die Bühnenmaschine
bildete. Die Anhäufung der Metallteile in der Aufnahme
von 1946 weist auf die schon bei Aufräumarbeiten
begonnene Sortierung hin. Entscheidend aber ist die
Einsehbarkeit von Innenräumen, die infolge von
Zerstörung durch Kriegshandlungen und Naturkatastrophen
möglich wird, bei einem gewöhnlich von außen
uneinsehbaren Theatersaal ist sie sogar außergewöhnlich.
Das Foto zeigt ihn unter der gekippten
Dachkonstruktionen der Bühnenmaschine und in Einzelteile
zerlegt. Die Formen der Stahlträger begegnen dem
Betrachter des zwei Seiten danach abgebildeten
„Testpiece“ (2007) wieder.12
Es ist in derselben Technik hergestellt worden, wie das
hier ausgestellte Doppelobjekt. Die Biegungen weisen
aber auch eine Verwandtschaft zwischen den Merkmalen der
Plastik und dem durch Detonation der Bomben unbrauchbar
gewordenen Baustahl auf. Hierdurch wird manifest, wie
die Wahrnehmung eines Objekts aus der Perspektive seiner
Zerlegung mit einer künstlerischen Dekonstruktion
zusammen gebracht werden kann. Die Funktion des Alten
wird zerstört und in neue ästhetische
Äußerungsmöglichkeiten überführt. Die neue Sichtbarkeit
unterwirft auch das Desaströse einer Revision; denn die
destruktive Freilegung erlaubt in einem kurzen
Zeitfenster einen nachträglichen Einblick in das nun
funktionslose Gebäude. Als solches erscheint es
quasi als Kunstgegenstand, der wie das Foto vermittelt,
nicht mehr seiner Bestimmung gemäß benutzt werden kann,
aber die Erforschung seines Inneren erlaubt. Ehe das Alte verschwindet, gibt es noch einmal Einblick in sein Innenleben, das so nachträglich verstanden werden kann. Auf diese Weise tauchen dann auch die „Fehlentscheidungen“13 beim Wiederaufbau auf, den Künne untersucht hat. Sie ging in ihrer „künstlerischen Untersuchung“ dem die Stadt prägenden Wiederaufbau der Nachkriegszeit nach. Ihre Objekte und die Beiträge, die Knut Eckstein und Eric Tschernow beigesteuert haben, zeigen den Widerspruch zwischen einer sich verselbständigenden Ästhetik aus Ingenieurbüros und den Interessen anderer gesellschaftlicher Gruppen. Da die Zerstörung sehr gute Voraussetzungen für diejenigen Interessengruppen geschaffenen hatte, deren Macht NS-Diktatur und Krieg nicht gebrochen hatte, konnten sie durch eine Rekonstruktion bzw. Neukonstruktion ihre Position festigen. |
11
siehe Anm. 9, Die obige Referenz zur Besichtigung
historischer Bauten
und zum Barock hat natürlich auch damit zu tun, dass
Mannheim im 17.
Jhd. am Reisbrett konstruiert wurde und einen
schachbrettartigen
Grundriss mit davon abgeleiteter Buchstabierung und
Bezifferung der
Blöcke hat. |
12 ebd., S. 6 13 ebd., S. 7 |
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