Der Anfang im Ende - Einführungsrede zur Ausstellung „Jutta Konjer - Ohne Wiederkehr“ von Dr. Thomas Piesbergen
Die Ausstellung in den Räumen des EINSTELLUNGSRAUM e.V. fand im Rahmen des Jahresthemas [Keine] Wendemöglichkeit im Mai 2018 statt.


Wir leben heute in einer gesellschaftlichen Realität, die vielleicht in einem noch nie zuvor da gewesenen Maße von Widersprüchen gezeichnet ist.
Der Individualismus wird gefeiert, doch die Menschen leben immer konformer.
Vorgeblich werden die christliche Werte und Traditionen verteidigt, in Szenarien, die mitunter an mittelalterliche Glaubenskriege gemahnen, während die religiöse Identität der Europäer fast vollständig erodiert ist.
Der Datenschutz ist in aller Munde und dennoch achtet kaum ein Mensch darauf, die Datenkraken mit all den täglichen kleinen digitalen Handlungen nicht noch weiter zu füttern.
Speziell Deutschland wähnt sich in Sachen Umweltschutz an der Weltspitze, dennoch wird in keinem europäischen Land dermaßen viel Plastikmüll produziert und konsumiert wie hier. Den Frieden zu sichern hat oberste außenpolitische Priorität, dennoch verzeichnen deutsche Rüstungsunternehmen unverändert Rekordumsätze aus Geschäften in Krisenregionen. Diese Liste ließe sich nahezu endlos fortsetzen.

Auch mit dem Thema Tod verhält es sich so. Selten war der Tod medial so präsent wie heute. Wir erleben einen täglichen Bodycount in den Nachrichten, der unsere Fähigkeit des Mitgefühls derart überfordert, daß wir kaum noch hinhören, wenn bei Attentaten oder Raketenangriffen weniger als 30 Menschen ums Leben gekommen sind. Auch in der Politik ist das aktive Herbeiführen des Todes, die tödliche Gewalt, die Androhung des Todes, um eigene Machtspiele durchzusetzen, zu einem alltägliichen Mittel geworden.
Zur gleichen Zeit werden wir von der Unterhaltungsindustrie mit dem Tod übersättigt. Im Kino wird in einem Umfang und mit einer Selbstverständlichkeit gemordet, die in der Filmgeschichte bisher beispiellos ist. Millionen von Menschen verbringen ihre Freizeit mit dem digitalen Massenmord der Egoshooter. Und auch der Buchmarkt macht dabei keine Ausnahme:
Auf den Plätzen 1 und 2 der Verkaufsranglisten behaupten sich schon seit langem Krimis und Thriller. Alle anderen literarischen Genres folgen weit abgeschlagen hinter diversen Sach- buch-Genres ab dem 7. Platz. Kaum nötig zu erwähnen, daß die Krimis und Thriller, um überhaupt mit dem tagtäglichen Mord und Totschlag konkurrieren und den erwünschten Nervenkitzel auslösen zu können, sich in Grausamkeiten ständig überbieten müssen.
Doch was ist mit dem faktischen Tod? Dem tatsächlichen Sterben, das nicht in einer medial inszenierten Ferne stattfindet, sondern in unserer unmittelbaren Umgebung, in unserem eige- nen Leben?
Von diesem Tod sieht man erstaunlich wenig. Schließlich leben wir in einer Welt, in der es zum guten Ton der Selbstoptimierung gehört, daß man auch noch mit Mitte 50 so dynamisch, flexibel und sportlich ist, wie ein 20jähriger und trotz grauem Bart und ausgehender Haare wieder aufs Skateboard steigt. In einer kulturellen Umgebung, die uns in einem Umfang krank macht, wie noch nie zuvor, ist die körperliche Gesundheit zu einem Fetisch geworden, mit dem auch das körperliche Bewusstsein des Alterns und Sterbens ausgelöscht werden soll.

Nach der geistigen Seite der Gesundheit fragt allerdings niemand, dabei ist die, angesichts des Todes, heute mehr gefährdet denn je. Denn in unseren postindustriellen und wissenschaftsgläubigen Kontexten, die ganz und gar diesseitig geworden sind, bleibt uns die Tröstung durch den Glauben an ein Nachleben versagt. Damit hat die Religion alle Legitimität und Verlässlichkeit verloren, mit der sie ehemals den Umgang mit dem Sterben ritualisiert hat. Denn wenn die Vernunft uns sagt, es gäbe kein Leben nach dem Tod, sind auch alle Riten, die den Toten in ein Jenseits überführen sollen, nichts als eine Farce. Und vor allem sind sie nicht mehr imstande, uns mit der grauenvoll gewordenen Vergänglichkeit unserer Körper auszusöhnen, die uns angesichts des Sterbens überfällt.

Um diese kaum erträgliche Hilflosigkeit nicht erdulden zu müssen wird der Sterbeprozess entsprechend in Hospize und Krankenhäuser ausgelagert, die Entsorgung der Körper wird an Beerdigungsinstitute delegiert und der Abschied von den Toten professionellen Grabrednern überantwortet. Damit ergeht es dem Faktum Tod ebenso wie der Geburt, die ebenfalls nicht mehr zu Hause erlebt, sondern in Krankenhäusern von Spezialisten durchgeführt wird, und das, der Effizienz halber, am liebsten per Kaiserschnitt.

Und so muss sich der Mensch, wenn der reale Tod den Nebel unserer medialen Welt plötzlich durchschneidet, mit einer Situation auseinandersetzen, auf die ihn niemand vorbereitet hat, für die es keinen verlässlichen Handlungsrahmen mehr gibt, keine Rituale, denen man Glauben schenken kann.

Folgt man dem Gedanken, dass wir in einer von Männern geschaffenen Welt leben, in einer Welt der Vernunft, der Linearität, der Effizienz, der Technik, kann man zu dem Urteil gelangen, dass uns einzig die männlichen Aspekte des Todes geblieben sind.

Präsentation
Vernissage
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