darüber, wie wir zusammen leben wollen, und welche Regeln dafür gelten sollen: Das ist nicht der diamantharte, absolute Boden der platonischen Ideen, der ungreifbar weit von den Menschen ist und doch die Maßstäbe liefert, wie sie leben sollen; vielmehr liegt das Fundament dafür, daß es überhaupt Regeln gibt, die gelten sollen, zwischen uns, gleichsam in der Luft, aber nicht ohne Wurzeln, sondern vielmehr mit einer Wurzel in jedem einzelnen, seinem Gemeinsinn, wie einer Luftwurzel.

Auch für Hannah Arendt ist das Zwischen das entscheidende. Dem Tisch, als einem Symbol, kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Denn was heißt es, in der Welt zusammenzuleben? Sie schreibt:

„In der Welt zusammenleben heißt wesentlich, daß eine Welt von Dingen zwischen denen liegt, deren gemeinsamer Wohnort sie ist, und zwar in dem gleichen Sinne, in dem etwa ein Tisch zwischen denen steht, die um ihn herum sitzen: wie jedes Zwischen verbindet und trennt die Welt diejenigen, denen sie jeweils gemeinsam ist.“ Hannah Arendt, Vita activa, S.66.
Ist der Tisch ein Möbelstück, das es uns überhaupt erst ermöglicht, einen Teil unseres gemeinschaftlichen Lebens zu strukturieren, wie den, der die Nahrungsaufnahme betrifft, als etwas, das nicht nur unsere biologischen Grundbedürfnisse erfüllt, sondern auch unsere sozialen Praktiken in eine mit Händen greifbare Ordnung bringt, so weisen die aus ihrem gewöhnlichen Verwendungszusammenhang gelösten Tischbeine, die Jutta Konjer neu arrangiert hat, auf eine Störung der Ordnung hin, die Hannah Arendt so beschreibt:
„Der öffentliche Raum wie die uns gemeinsame Welt versammelt Menschen und verhindert gleichzeitig, daß sie gleichsam über- und ineinanderfallen. Was die Verhältnisse in einer Massengesellschaft für alle Beteiligten so schwer erträglich macht, liegt nicht eigentlich, jedenfalls nicht primär, in der Massenhaftigkeit selbst; es handelt sich vielmehr darum, daß in ihr die Welt die Kraft verloren hat, zu versammeln, das heißt, zu trennen und zu verbinden.
Diese Situation ähnelt in ihrer Unheimlichkeit einer spiritistischen Séance, bei der eine um einen Tisch versammelte Anzahl von Menschen plötzlich durch irgendeinen magischen Trick den Tisch aus ihrer Mitte verschwinden sieht, so daß nun zwei sich gegenüber sitzende Personen durch nichts mehr getrennt, aber auch durch nichts Greifbares mehr verbunden sind.“
Hannah Arendt, Vita activa, S.67.

Verschwindet die Ordnung, verschwindet auch das Gemeinsame der Welt: wir verstehen nicht mehr, was wir eigentlich zu tun haben sollen mit den anderen, unseren Mitmenschen. Immerhin verbleiben bei Jutta Konjer noch einzelne Stuhlbeine, die sich neu zusammenfinden, so daß wir nicht bei dem zerstörten Kontext stehenbleiben müssen, sondern zu einem neuen Kontext gelangen können. Dieser Kontext ist ein ästhetischer, der somit nicht, folgt man Kant, an die Verfolgung konkreter Interessen gebunden ist. Was in diesem ästhetischen Kontext deutlich wird: Wir sollten, wie Jutta Konjer es vormacht, nicht aufhören, über die Regeln nachzudenken, die sich manifestieren in den scheinbar banalsten Gegenständen, die wir täglich gebrauchen und diese Regeln – zumindest von Zeit zu Zeit – überprüfen, auf ihren Gehalt hin und auf ihre Sinnhaftigkeit. Eine solche Gelegenheit bietet sich Ihnen heute, als Besucher dieser Ausstellung, die ich hiermit für eröffnet erkläre!

Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Aufmerksamkeit.

Die 01. Ausstellung zum Jahresprogramm Regeln regeln. Regeln regeln! 2019 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Präsentation
Vernissage
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