Sonja Schierbaum
Jutta Konjer - Das fünfte Bein am Tisch,
06.02.2019

Meine sehr verehrten Damen und Herren,  
ich freue mich sehr, daß Sie so zahlreich erschienen sind, an diesem Abend, sind Sie in die Rolle geschlüpft von Besuchern, die einer Eröffnung beiwohnen, der Eröffnung einer Ausstellung, dafür müssen Sie nicht einmal in ein anderes Kostüm schlüpfen, das Kostüm des Ausstellungsbesuchers, es genügt, daß Sie gekommen sind, mit der Absicht, der Einladung zu folgen, in den einstellungsraum, und das vielleicht nicht zum ersten Mal, dann kennen Sie das Spiel, das Sprachspiel, wie man mit Wittgenstein sagen könnte, das „Ausstellungseröffnung“ heißt und gewissen Regeln folgt, die nicht zu verwechseln sind mit einer bloßen Regelmäßigkeit.
Denn es kann sein, daß etwas regelmäßig erscheint, das heißt, mit einer Regelmäßigkeit erscheint, ohne einer Regel zu folgen; wenn etwa die Nachbarin jeden Morgen unterm Fenster erscheint, mit dem Hund, der dort stehenbleibt, immer, genau unter dem Fenster bleibt er stehen, an derselben Stelle, an demselben Baum, um die letzten Nachrichten zu lesen, die Schlagzeilen der Hundepost, mit einer Regelmäßigkeit also, wie sie etwa auch einem gewissen Philosophen zu eigen war, Immanuel Kant nämlich, der seinen täglichen Spaziergang durch Königsberg mit einer solchen Pünktlichkeit erledigte, daß die Nachbarn im sprichwörtlichen Sinne die Uhr nach seinem Erscheinen stellen konnten.


Ein Nichterscheinen zur gewohnten Stunde, am gewohnten Ort, kann vielleicht Anlaß zur Sorge geben, es könnte etwas geschehen sein, was so nicht vorgesehen war und die Gewohnheit unterbrochen hat, ungewollt, - hoffentlich ist ihm nichts Schlimmes zugestoßen! Nur eine kleine Unpäßlichkeit. - Aber es wird dadurch keine Regel verletzt, daß etwas nicht so ist, wie es doch sonst immer zu sein pflegt, um diese Zeit, an diesem Ort, wo er nur bleibt? Und es gibt keinen Anlaß, sich zu empören, moralisch vielleicht oder sonst wie, weil etwas nicht so ist, wie sonst, denn eine Regel in dem Sinne, den ich im Sinn habe, kann nur dann verletzt werden, wenn nicht so gehandelt wird, wie gemäß der Regel gehandelt werden soll, und das auch noch mit der Absicht, sich nicht an die Regel zu halten. - Dort liegt der Hund begraben, wenn er nicht mehr spazieren geht, wie ein Philosoph, der täglich im Kreis geht, seine Kreise zieht und sich dabei doch nicht im Kreis dreht. Es wäre ihm zumindest zu wünschen.
Aber damit sind wir schon mitten drin, im Thema: den Regeln! Die etwas regeln sollen und dabei selbst einer Regelung bedürfen, einer Regulierung. Wer regelt die Regeln, die regeln, was geregelt werden muß? Aber vielleicht ist die Frage so schon falsch gestellt, als Frage nach dem „Wer“. Denn es scheint schwierig, in der Regel zumindest, eine einzelne Person auszumachen, die verantwortlich zeichnen soll, für das Aufstellen von Regeln. Oder kommt es darauf an, um was für Regeln es sich handelt? Um welche Art? Ja gibt es denn mehr als eine Art? Und wenn ja, verhalten die Arten von Regeln sich dann zueinander wie Arten von Hunden oder besteht zwischen ihnen ein Unterschied, der so groß ist wie der Unterschied zwischen einem Hund und einem Philosophen?
Außerdem werden nicht täglich neue Regeln aufgestellt, wie Verkehrs- oder Verbotsschilder, Rasen betreten verboten, Hunde sind an der Leine zu führen, an diesem Schild hebt der Hund der Nachbarin besonders gerne und ausgiebig sein Bein.


Aber fangen wir von vorne an, erst einmal vorne. Noch einmal von vorn. Fangen wir an mit dem Titel der Ausstellung, die heute eröffnet wird, denn wir wollen uns ja an die Regeln halten. Der Titel lautet: 

Das fünfte Bein am Tisch
Ist das fünfte Bein am Tisch wie das fünfte Rad am Wagen? Eines zu viel und deshalb ohne Funktion, weil es bereits andere gibt, an den richtigen Stellen, und das heißt: an den dafür vorgesehenen. Ein Wagen hat Räder, um zu rollen, das schränkt die möglichen Stellen für die Räder, die diesen Zweck erfüllen sollen, schon sehr ein, verengt sie, auf vier, um genau zu sein, wenn es sich bei dem Wagen um ein Automobil handeln und es auch noch schnell gehen soll, das Rollen, eine Beschleunigung von 0 auf 100 in 10 Sekunden muß da heute schon drin sein. Ein Tisch hingegen hat Beine, um zu stehen, wie ein Mensch, der beide Beine auf dem Boden haben soll, auf dem Boden der Tatsachen, wie man so sagt, ohne sich darüber den Kopf zu zerbrechen, was das eigentlich für ein Boden sein soll, auf dem man da steht, mit seinen beiden Beinen, der eine fester, der andere wackliger, die Menschen sind eben verschieden, aber die Regeln sind für alle gleich, dabei „sagen“ die Tatsachen nur, wie es ist, und das auch nur im übertragenen Sinne, wenn überhaupt, aber eben nicht, wie es sein soll. Das, wiederum, sollen uns die Regeln „sagen“. 


Auf welchem Boden sprießen dann die Regeln? Denn es muß klar sein, von Anfang an, daß das ein ganz anderer Boden sein muß, einer, der nicht „sagt“, wie es ist, sondern wie es sein soll.
Die 01. Ausstellung zum Jahresprogramm Regeln regeln. Regeln regeln! 2019 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Präsentation
Vernissage
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