Der Rückbau des Wohnmaschinentraums - Einführungsrede zu „Suse Itzel - Wir haben so schön geschlafen“ von Dr. Thomas J. Piesbergen

Als im Altpaläolithikum das Erkennen der Möglichkeit, sich selbsttätig einen Schutz vor Umwelteinflüssen schaffen zu können, sich mit den stetig zunehmenden motorischen und schließlich handwerklichen Fähigkeiten des frühen Menschen verband, entstand die Architektur.

Sie hatte zunächst nichts anderes als eine Schutzfunktion und bestand aus einfachen Wind- und Regenschirmen. Doch spätestens mit der Entstehung des geschlossenen Raumes, der nicht mehr nur ein Unterschlupf, sondern ein Wohnraum wurde, nach außen hin immer besser abgeschirmt, zeitigte die Architektur einen sicher unbeabsichtigten, aber massiven Effekt auf die menschliche Kultur, in dem sie den kommunikativen Raum regulierte. Dadurch wurde sie manifester Teil der non-verbalen Kommunikation und zu einem bedeutenden formativen Faktor der weiteren kulturellen Entwicklung des Menschen.

Indem sie ein Innen und ein Außen schuf, trug sie maßgeblich dazu bei, das Gefühl für eine menschlichen Sphäre zu schaffen, die von einer Umwelt abgegrenzt ist. Dadurch wies sie dem Menschen seinen Platz in der Welt zu und formte so maßgeblich sein Selbstverständnis als Mensch mit. In dem sie nach gleichbleibendem Muster Individuen und Teilgruppen voneinander trennen konnte, wies sie ihm ebenfalls seinen Platz in der Gesellschaft zu.
Die kulturelle Sphäre war geschaffen und mit ihr die soziale Ordnung des Raums. Sie repräsentierte in all ihren Aspekten adaptive und soziale Funktionen, die aus den unmit-telbaren Bedürfnissen der jeweiligen Gruppen und Individuen hervorgingen, aus dem akuten gesellschaftlichen Status Quo.
Die Unmittelbarkeit dieser Repräsentation wurde gewährleistet durch die weitgehend fehlende Arbeitsteilung innerhalb der Siedlungen: Die Menschen reagierten auf die akuten Gegebenheiten und gestalteten sich innerhalb derer Grenzen den eigenen Wohnraum genau ihren Bedürfnissen entsprechend.
Durch seine Bedeutung als strukturierende Struktur erfuhr der architektonische Raum schnell eine symbolische Aufladung, die mit fortschreitender Komplexität menschlicher Organisationsformen und ihrer räumlichen Repräsentation ebenfalls immer komplexer wurde. Zudem machte Architektur den Raum zunehmend kontrollierbar. Und indem sie hierarchische Strukturen  so akut materialisierte, half sie rückwirkend, diese zu stabilisieren und zu entwickeln.

Korrelierend mit dieser Entwicklung nahm die Arbeitsteilung immer weiter zu, sodaß schließlich nicht mehr die zukünftigen Bewohner eines Hauses es selbst bauten, sondern externe Handwerker. In der weiteren Folge wurde auch die Gestaltung des Raums von externen Fachleuten oder institutionalisierten Regelwerken übernommen. Diese Entwicklung setzte sich, nur phasenweise innehaltend, unreflektiert bis in die Neuzeit fort.

In den gegenwärtigen post-industriellen Kontexten ist das Individuum in der Regel soweit von der Gestaltung des eigenen Wohnraums abgekoppelt wie die frühen Hominiden, die nicht bauten sondern natürliche Zufluchtsorte aufsuchten. Wie unsere Vorfahren sind wir froh, wenn wir in der urbanen Felswüste eine bezahlbare Höhle finden, in der wir uns wohnlich einrichten können. Die Gestalt des Raumes selbst allerdings müssen wir notgedrungen hinnehmen, ganz wie der Homo Habilis es tun mußte.

Doch wenn nicht mehr der Einzelne mit seinen Bedürfnissen den Raum gestaltet, welche Mechanismen oder Institutionen tun es dann? Welche Ordnung repräsentiert die Architektur und welche Funktion erfüllt sie?

In dem Moment, in dem ein Architekt für hypothetische Bewohner und Nutzer baut, deren individuelle Bedürfnisse und deren kulturelles Selbstverständnis ihm nur mittelbar bekannt sind, kann er den Raum nur aufgrund von Mutmaßungen entwerfen.

Die 03. Ausstellung im Jahresprogramm DREHMOMENT des EINSTELLUNGSRAUM e.V.

Präsentation
Vernissage
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