natürlich
auch eine Endstufe des zivilisatorischen Stoffwechsels,
die damit gemeint sein kann. Eine Kloake, die sich
irgendwo aus Abwas- serrohren auf Straßen, in Meere oder
Flüsse entlädt. Den Straßenver- kehr betreffend ist es in
diesem Zusammenhang empfehlenswert, sich die Auspuffrohre
von diversen Autos vor Augen führen. III. Die Sinne und ihre Kontrollmechanismen Beim „Teufelsrohr“ handelt es sich um eine Art Fernrohr; und es bedarf keiner Phantasie, um zu schließen, dass damit der Gesichtssinn angesprochen ist. Aber es geht nicht allein um die optischen Eigenschaften dieses Geräts, da die Sinne keineswegs nur mechanisch funktionieren. Zwar kann eine Kamera ein Auge nachbilden, doch kann die Verarbeitung der Bilder im Gehirn nur bedingt durch Programme simuliert werden. Jedes Bildbearbeitungsprogramm hätte Schwierigkeiten alle möglichen Verknüpfungen mit kulturell überlieferten Zusammenhängen herzustellen. Auch muss ein Bild fixiert werden, wozu die optische Einrichtung, etwa mit einem Sensor oder einem Film bestückt sein muss, damit die jeweiligen Bilder nach der Aufnahme zur Verfügung steht. Dem Teufelsrohr, dem jede dieser Einrichtungen fehlt, hat Neu konsequenterweise einen „Sinnenfilter für parasoziale Interaktionen“ zur Seite gestellt. Auf dem Display, also einem Gestell oder Gerüst, sind sechs Tücher übereinander gehängt, die so etwas wie ein Filtersystem darstellen. Ich würde es gerne als ein metaphorisches Bildbearbeitungsprogramm ansprechen, das Eindrücke filtriert, optimiert, begrenzt oder auch kontrolliert und durch Zensur entschärft. Neu verkörpert das Sinnenmaterial durch Wachs, das in einem Versuchsaufbau, dem „Sinnenfilter für parasoziale Interaktion“ gesammelt wird. Das Display besteht aus sechs aufgespannten Tüchern, die wie Siebe funktionieren. Auf ihnen schlagen sich Sinneseindrücke nieder und reichern sich je nach Feinheit der Filter unterschiedlich an. Dieser Apparat funktioniert gegenüber einem Bildbearbeitungsprogramm in einer parallelen Art und Weise, denn das Sinnenmaterial, also die eingehenden Signale werden |
akkumuliert und optimiert oder
begrenzt und verworfen. Hier ist in Wachs dargestellt,
was sich als „Bodensatz“ anreichert, der konkret als
ein Klotz in den Sockel der Figur eingesetzt worden
ist. Wir nehmen einmal an, er würde die Summe aller
„parasozialen Interaktionen“ speichern, die am
heutigen Abend erhoben werden. 2. Bildschirme der Antike Neu verwendet Bienenwachs wie vor ihm Joseph Beuys oder Wolfgang Laib, ohne dass man ihn deshalb als Epigonen bezeichnen müsste; denn Wachs ist ein Trägermaterial, das so alt ist wie die Kultur. Vielen ist der Mythos von Daidalus und Ikarus bekannt, die Wachs benutzten, um den Federn an ihren Flügeln Halt zu verleihen. Dabei vergaßen sie zu erwägen, dass Wachs in Sonnennähe schmelzen könnte. Wenige aber wissen, dass Daidalos auf Kreta auch als Bronzegießer tätig war und Wachs zum Formen der später zu gießenden Figuren benötigte. Die Gusstechnik der verlorenen Form verlangte große Mengen dieses hochenergetischen Materials, das schon durch die Sammeltätigkeit der Bienenvölker verdichtet worden ist, bevor es ihnen die Menschen entreißen, um die zu in ihren Besitz gebrachten Mengen aufzustocken. In dieser Hinsicht stellt das Wachs eine ursprüngliche Form der Akkumulation von Kapital dar, die im Mythos von Daidalos mit der Bildherstellung verknüpft ist. Als Metapher für die Anreicherung von Sinneseindrücken verwendet, manifestiert Wachs neben materiellem Reichtum auch die Ansammlung von kulturellem Kapital, das sich permanent umformen lässt. Dem kommt die physikalische Qualität von Wachs entgegen, das durch seine energetische Dichte ein idealer Speicher ist. Bemerkenswert ist seine Plastizität auch in anderer Hinsicht: So kann es nicht nur zu Figuren geformt, sondern auch in Täfelchen gegossen werden. Diese können als „Notizblock“ beschrieben und nach jeder Benutzung wieder und wieder geglättet werden. Wachstafeln und –blöcke sind deshalb als die Bildschirme des Altertums anzusehen, weshalb wir ja bis heute von Sinneseindrücken sprechen.4 IV. Plastische Mess- und Bildverfahren Archaische Erfahrungen, die solche Vorstellungen über das Nachwir- |
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4 Sigmund Freud verglich 1925 das
menschliche Erinnerungsvermögen mit einem solchen Block,
der noch im 20. Jahrhundert als ein Notizgerät und
Kinderspielzeug gebräuchlich war und „Wunderblock“
genannt wurde. Es handelte sich um ein Wachstäfelchen,
das mit zwei Folien bedeckt wiederbeschreibbar war, weil
die untere der mit einem Stift auf das Wachs gedrückten
Folien haften blieb und die Notiz sichtbar machte. Die
Schichten konnten durch einen Schieber wieder getrennt
werden, so dass jedes Mal neue Einschreibungen mögliche
waren. Mit zunehmender Benutzung entstand auf der
Wachsschicht ein Palimpsest aus den sich überlagernden
Eindrücken in das Wachs, mit denen Freud das
Erinnerungsvermögen verglichen hatte. |
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