Maria Hobbing: Poröses Polster, 2018
Einführung Hajo Schiff


Hier im Raum wird es sichtbar, im Titel „Poröses Polster“ klingt es an und in den Gesprächen mit der Künstlerin ist es ein zentraler Punkt: Es geht um „Unbestimmtheit“. Da ist bei- spielsweise die hier prominent platzierte vibrierende Figurenüberlagerung: Sie beschreibt eine Bewegung, ohne dass zu sagen wäre, in welche Richtung. Alles hier entzieht sich eindeutiger Vereinnahmung – hier im Raum und im Keller. Nicht zu bändigende Linenbruchstücke haben sich aus der Form befreit, verlassen Bilder, Folien und Plexiglasabdeckungen und überwu- chern den Raum. Maria Hobbing setzt Reibung gegen das Aseptische, das „Poröse“ gegen die hochglänzende, saubersortierte „fertige“ Bilder-Welt unserer Medien.


Aus der Bilderserie dort rechts hinten über Eck und deren Text-Zitaten ist abzuleiten: Maria liebt Antonin Artaud – nicht zuletzt wegen seines Bezuges auf eine chaotische Sinnlichkeit, die sogar dem durch Andre Breton geglätteten Surrealismus zu viel war. Auch heute, in einer Zeit voller allzu rascher Konsumierbarkeit und flinker Kurzschlüssigkeiten ist das Unbestimmte, das Offene das entscheidend Widerständige. Historisch wäre das vielleicht ein bisschen so, wie das Informel in Opposition zu der Oberflächlichkeit der 50er Jahre stand oder auch nebenan gegen die DDR-Staatskunst.
 
Aber vielleicht führt das zu weit. Es sei ein anderer Vergleich genommen: Kunst, diese Kunst, ist kein begradigter Kanal, sie führt voran wie ein Spreewald-Fließ. Sie meidet Sackgassen oder findet in ihnen einen Durchschlupf ins Ferne. Oder direkt eine Analogie aus diesem Raum, den Maria weniger wie einen Ausstellungsraum bespielt, sondern wie ein vorübergehendes Atelier – das wären dann die Bruch- und Fugenlinien der Solnhofner Platten und deren unabsichtliche Schrift. Es geht bei alledem nicht um die Form des Unbestimmten, also so etwas wie ein neues Logo des Unsagbaren, es geht um individuelle Fassungen dieses Gedankens.

Es ist ein kleiner, aber feiner Unterschied zwischen un-bestimmt und un-eindeutig. Und der liegt vor allem beim Rezipienten. Bestimmungen kommen meist von oben. Auch die Straßenverkehrsordnung ist sowas. Es braucht also Regeln… aber eben nicht für alles. Wie vorbestimmt muss eine künstlerische Ausformulierung sein? Das ist ein ewiger Streitpunkt der Ästhetik, meist anhand des „Infinito“ ausargumentiert, das alle ordentlichen Klassizisten ablehnen und alle modernen Romantiker lieben.

In „Bestimmung“ stecken aber auch die Wörter Stimme und Stimmung. Und so wenig zu wünschen ist, dass die Straßenverkehrsordnung nach Stimmungslage gedeutet wird (obwohl – bei manchen Verkehrsteilnehmern hat man schon den Eindruck), so sehr spielen Stimmung und Stimme in der Kunst eine Rolle. Und Stimmen haben eben
Konsonanzen und Reso- nanzen, ja diese sind – wie in der Musik – oft wichtiger, als Entschlüsselungen zum vorgeblich „richtigen“ oder „eindeutigen“ Verstehen … auch wenn das bei aller Kunstver-mittlung sicher ein ziemlich großes Problem ist.

Gegenüber versprengten Resten einer freien – vielleicht auch als musikalisch zu bezeich-nenden – Notation wie hier, braucht es keine Entschlüsselung, sondern Resonanz. Zu viele Erklärungen sind in Poesie und Kunst und übrigens auch beim Witz eher unangemessen. Hier wird für eine Kunst plädiert, die sich nicht irgendwelchen politischen Partikularinteressen anbiedert, sondern eine Kunst, die geradezu im Gegenteil der schnellen Wahrnehmung und abgrenzender Positionierung die Kontrolle entzieht, einer Kunst, die das Unbestimmte zulässt und die lehrt, die Ungewissheit zu ertragen.

Denn wir leben in einer Zeit, in der der Fortschritt erstaunlich konservativ ist. Die einst progressiven Identitätspolitiken münden in absonderliche, fundamentalistische Graben-kämpfe, bei denen alles sofort eindeutigen Fronten zugeordnet wird: Daumen hoch oder runter, Like-Dislike, auch Links gegen Rechts, obwohl die inhaltliche Füllung gerade letzterer Begriffe reichlich verschwommen, wenn nicht gar abhanden gekommen ist. Diese Tendenz zur „Vereindeutigung der Welt“ wird auch in einem aktuellen philosophischen Bestseller von Thomas Bauer beklagt … es gibt für die Kunst von Maria Hobbing durchaus
Resonanzen in anderen Bereichen.

Die 10. Ausstellung zum Jahresprogramm (Keine) Wendemöglichkeit, 2018 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Präsentation
Vernissage mit  Performance
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