Seit diesen Ursprüngen tritt uns das Narrativ des Gelobten Landes in zahllose Variationen entgegen. Wir finden es in der Bibel als Kanaan, es ist zentraler Topos im Gründungsmythos des aztekischen Reiches, für die Konquistadoren war es Eldorado, für die Calvinisten und Puritaner war es Amerika, für die Seefahrer des 18. und 19. Jahrhunderts waren es die Inseln im Pazifik, in der deutschen Klassik war es Italien, in der deutschen Nachkriegszeit kam Spanien als exotischer Sehnsuchtsort dazu, für zivilisationsmüde Auswanderer sind es heute Neuseeland, Australien oder Kanada und für die weniger Wagemutigen sind es die weißen Palmenstrände der Malediven oder Ägyptens, von Mallorca, oder die an der türkischen Riviera mit All-Inclusive-Pauschalangebot. Und für Notleidende in Afrika und Westasien ist es Europa, für das sie sogar ihr Leben riskieren.

Nicht zu vergessen sind natürlich auch die religiös konnotierten Orte, die, als Kreuzungspunkt der sakralen Vertikalen und der profanen Horizontale als Mittelpunkt der spirituellen Welt gelten und an denen ein unmittelbarer Kontakt mit dem Numinosen verheißen wird, wie z.B. Mekka, Jerusalem oder Rom. In den dualistischen Religionen, die alles diesseitige Dasein schließlich als sündig verdammten, wurde zudem die Vorstellungen eines paradiesischen Jenseits’ immer konkreter und gegenständlicher und zum letzten und einzigen Ziel menschlicher Anstrengung.

Die jüngste Variante des gelobten Landes ist die virtuelle Welt mit ihren vielen Erscheinungsformen. Seit bald 20 Jahren nehmen Menschen in Second Life alternative Identitäten an und leben im digitalen Raum ihre Fantasien aus; Generationen von Teenagern sind vor einer unerfreulichen Wirklichkeit in Spiele wie World of Warcraft oder Minecraft geflohen; moderne Glücksritter schürfen im Internet nach Kryptowährungen, die größere Reichtümer verheißen als Eldorado; und im kommenden Metaversum von Facebook-gründer Zuckerberg werden bereits virtuelle Grundstücke verkauft.
Doch ganz gleich, ob diese verschiedenen Varianten des gelobten Landes nun himmlische oder irdische Erlösung versprechen, implizieren alle Erzählungen immer einen intolerablen Mangel, den das Individuum im Hier und Jetzt erleidet. Zudem wird herausgestrichen, dass der aktuelle Aufenthaltsort niemals dazu geeignet ist, den erduldeten Mangel zu beheben. Das vermag nur das als erreichbar konzipierte Gelobte Land.

Diese drei Aspekte - das mangelleidende Individuum, der unzureichende Ort und die Erreichbarkeit des Gelobten Landes - sind wiederum eng mit dem Narrativ der heilsbringenden Mobilität verknüpft. Im Laufe des 20. Jahrhunderts erlebte dieses Narrativ in Verbindung mit dem Narrativ individuellen Erfolg-sstrebens einen atemberaubenden Aufschwung in Form der Automobilisierung der Gesellschaft und des Individualverkehrs als Massenphänomen. Bis heute wird es mit Nachdruck erzählt.

Die heraufbeschworene Bedeutung der Mobilität ist so essentiell geworden, dass sie sich schließlich sogar von der Idee eines zu erreichenden Ziels emanzipiert hat, und nicht mehr nur als Mittel zum Zweck, sondern als eigenständiger und essentieller Wert gilt. Der unbegrenzte Individualverkehr gilt per se als glücksverheißend, ganz gleich, ob er uns irgendwo hinbringen kann. Denn der Zustand des Einzelnen, sowie der Ort, an dem er sich befindet, können gar nicht anders sein als mangelhaft, sodass selbst die ziellose Bewegung erstrebenswerter erscheint, als dort zu bleiben, wo man ist.
Dieses problematische Symptom sprach bereits der Philosoph Blaise Pascal mit dem Satz an: „Alles Unheil kommt von einer einzigen Ursache, dass die Menschen nicht in Ruhe in ihrer Kammer sitzen können.“

In dem vorliegenden Werkkomplex von Esther Heltschl treten diese drei erwähnten Narrative, das Gelobte Land, das sozial entkoppelte, individuelle Glücksstreben und die maximale Mobilität, in einen Dialog, in dessen
Präsentation
Vernissage
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