wachsen.
In ihnen können Vogelschwärme entstehen, menschliche
Gliedmaßen und
Figuren, neurale Zellstrukturen mit ihren Axonen,
Dendriten und
Synapsen oder architektonische Komplexe. Nur die
Vorstellungskräfte der Betrachter setzen die Grenzen. So
werden die
Netzwerke auf dem Umweg der Wahrnehmung des Betrachters
ganzheitlich,
universell und deuten stets über sich selbst hinaus. Sie
bergen in sich
das Potenzial, die ganze Welt in sich aufzunehmen, sie
zu umspannen. Doch Jürgen Heckmanns verzichtet nicht nur auf die Deutungshoheit seiner Kunst und gibt sie bedingungslos an den Betrachter weiter. Er verzichtet nicht nur darauf, auf den Betrachter mit einer gezielt erschaffenen, konsistenten Form einzuwirken. Er verzichtet auch darauf, seine Objekte vor Veränderung und Einwirkungen von außen zu schützen. Sobald die Arbeit an ihnen beendet ist, werden sie nicht nur zum Spielball der Imagination des Betrachters, sondern sind sie auch allen anderen möglichen Einwirkungen von außen unterworfen. Das wechselnde Licht spielt auf dem anfänglich neutralen Material und gibt ihm je nach Tageszeit oder Ampelphase farbliche Nuancen und Tönungen. Es bewirkt zudem, daß die Netzwerke als Schatten ihre räumliche Begrenztheit transzendieren und sich auf den Wnden und über den Fußboden fortsetzen, vielleicht sogar aus dem Raum hinausgreifen. Luftbewegungen, Luftfeuchtigkeit, Berührungen und Schwerkraft bewirken Veränderungen der Form der Strukturen. Die Objekte geraten in Schwingung, sinken in sich zusammen, Teile brechen oder knicken ab; dadurch entstehen immer wieder neue Bewegungen und Gesten. Langfristig verändert sich schließlich die Farbe des Papiers durch Lichteinwirkung. Die Objekte sind der Zeit ausgesetzt. Der Alterungsprozeß ist unabdingbarer Teil von ihnen. Man könnte diese Interaktion mit der Umwelt als eine "Verschaltung" der Objekte mit der sie umgebenden Wirklichkeit bezeichnen. Dieser offene Dialog, geht soweit, daß die Besucher mitunter |
dazu ermutigt werden,
selbst zu
intervenieren und Objekte, die in sich
zusammengebrochen sind, nach eigenen Vorstellungen
wieder zusammen zu
bauen. So ist zum Beispiel die Art der Installation
von Heckmanns
Röhren und Trichtern oft so gestaltet, daß sie den
Eindruck vermittelt,
sie wäre unfertig. Einzelne Elemente stehen als
Baumaterial bereit,
andere liegen wie abgefallen am Boden und warten
darauf, wieder
angebracht zu werden.
Hier ist die hierarchische Struktur, die kreative "Befehlskette": Künstler - Kunstwerk - Betrachter endgültig zerschlagen. Der Künstler wird selbst zum Betrachter der Entwicklung, die sein Werk nimmt, nachdem er es "freigesetzt" hat. Bündelt man all diese Aspekte des Werkes von Jürgen Heckmanns wird deutlich, daß es zutiefst human, ganzheitlich und vor allem demokratisch ist. Die gegenwärtige Situation unserer Gesellschaft ist durch kaum etwas mehr gekennzeichnet, als durch die Diktatur der Finanzmärkte und ihrer Erfüllungsgehilfen, die derart schalten und walten, daß einem davon ganz schwindelig wird. Andererseits kann man beobachten, wie ein autokratisches System nach dem nächsten versagt und in sich zusammenbricht. Überall auf der Welt wird mit neuen ideologie- und hierarchiefreien Formen der politischen Opposition experimentiert - seien es die Grassroots-Aktivisten, die Occupy-Bewegung, Flashmobs, Tauschringe, der Arabische Frühling etc. In so einer Zeit, in der sich Konflikte und Umwälzungen von bisher ungeahnten Ausmaßen ankündigen, in der die Strukturen der Macht grundsätzlich in Frage gestellt werden, ist es von großer Bedeutung, daß auch die Kunst den Menschen immer wieder daran erinnert, daß es möglich ist, sich ohne Machtwillen auf ein offenes, gleichberechtigtes und lustvolles Spiel mit einer ganzheitlichen Wirklichkeit einzulassen; mit einer Wirklichkeit, die zu gestalten er dasselbe Recht hat, wie jeder andere auch! |
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