Es entstanden über hundert Entwurfszeichnungen, bei deren Entwicklung sich Hasegawa - diesmal unbewußt - von seinem inneren Bildspeicher leiten ließ. Das später realisierte Paar Kufen ähnelt deutlich den zur Zeit Brueghels üblichen Schnabelschuhen mit hölzernen Sohlen, die man unter die Füßlinge schnallen konnte, die verschlungenen Ornamente darauf hingegen erinnern stark an den sog. entwickelten Tierstil der Wikinger und die frühe keltische Kunst.


Die fertigen Kufen, eine aus Aluminium, einer aus Bronze, wurden verbunden mit Kabeln. Legt man sie in ein saures Medium, z.B. Zitronensaft, bilden sie durch ihre unterschiedliche Ionisierung eine Batterie mit einer Spannung von etwa 0,1 Volt. Das Motiv des Speichers, der Batterie tritt hier zum zweiten mal im künstlerischen Prozess auf.
Nach der so vorgenommenen Materialisierung war der nächste notwendige Schritt die Freisetzung und Belebung der inneren Bilder. Zu diesem Zweck fuhr Hasegawa im Winter nach Finnland, um dort mit seinen selbstgefertigten Kufen auf natürlichen Seen tatsächlich Schlittschuh zu laufen.


Die Aneignung des so erzeugten Moments der Freisetzung findet nun durch eine Umkehr des Prozesses statt: Die Erfahrung soll wiederum gespeichert werden und in die Bildwelt zurückkehren.

Dazu fertigte Sho Hasegawa eine Blackbox aus geräucherter Eiche an, in der ein Ebenholzstift mit einem dünnen Kanal befestigt ist. Oberhalb des Kanals ist eine Leuchtdiode angebracht. Sie wird ausschließlich durch den Strom gespeist, der in den Kufen entsteht. Mit diesem Lichtstift, dessen Bewegungen in einem mit etwas Ölfarbe gefüllten Schälchen von einer magnetischen Kugel nachgezeichnet werden, skizzierte der Künstler auf einen Mittelformat-Negativstreifen Impressionen der Seelandschaft, durch die er sich zuvor auf den stromspendenden Schlittschuhen bewegt hat. Der aus einem Vorstellungsraum und Erinnerungsspeicher tatsächlich hervorgegangene künstlerische Akt wird also wiederum zu etwas immateriellem transformiert, zu Elektrizität und Licht, die eine Rückkehr in die Bildwelt ermöglichen.


Die manifeste Rückkehr in die Welt der Bilder und der Gemälde wurde schließlich erreicht, in dem die auf dem See entstandenen Zeichnungen auf Barytpapier ausbelichtet wurden. Dabei spielte es eine große Rolle, das die einzelnen Abzüge durch das ausgesprochen sensible Material und die Unwägbarkeiten des Entwicklungsprozesses, zu Unikaten wurden.
Als Verweis auf ihre Einmaligkeit und die gedachte Nähe zum Gemälde fertigte Hasegawa abschließend für jedes Bild einen individuellen Rahmen aus gezielt ausgewählten Holzsorten an, so z.B. aus finnischer Moorbirke. Und so sehen wir diese Spuren der Freisetzung der inneren Bilder nun vor uns.
                             Foto Hasegawa
In diesem in sich geschlossenen Prozess und seiner Gestaltwerdung werden wir Zeuge, wie ein inneres Bild reaktiviert wurde, wie es in seiner Freisetzung eine Art Auferstehung ins Leben vollzog und dort selbst wiederum Energie freisetzte, die es ermöglichte, daß der erzeugte Akt selbst eine Spur hinterlassen konnte. Durch die Fixierung dieser Spur fand schließlich der letzte Akt der Aneignung statt und eine Rückführung des Prozesses in das Archiv, den Speicher der Bilder.

ⓒ by Dr. Thomas J Piesbergen / VG Wort, 2016

Die 06. Ausstellung im Jahresprogramm SPEICHERN | AKKUMULIEREN des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2016

Vernissage
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