Die Auferstehung der inneren Bilder - Einführungsrede zu
"Sho Hasegawa: Winter Landscapes" von
Dr. Thomas J. Piesbergen

Bereits in einer anderen Rede zum Jahresthema Speichern.Akkumulieren. habe ich ein Zitat des Siddhartha Gautama Buddha herangezogen. Es lautet: „Alles was wir sind, ist das Resultat dessen, was wir gedacht haben.“
Diese Einsicht, vor fast 2500 Jahren formuliert, deckt sich weitgehend mit den Erkenntnissen der aktuellen Hirnforschung und wird unter dem Begriff der Neuroplastizität zusammengefasst, im speziellen unter dem Begriff der synaptischen Plastizität.
Diese synaptische Plastizität ist grundlegend an Lernprozessen und der Gedächtnisbildung beteiligt. Sie wird bedingt durch wiederholte Aktivität der Nervenzellen. Denn die Stärke der synaptischen Sensitivierung ist abhängig von der vorangegangenen Aktivität der präsynaptischen Zellen. Jeder Stimulus hinterläßt eine unterschwellige Aktivitätsspur in Form eines erhöhten Aktions- oder Membranpotenzials der synaptischen Endknöpfchen. Dadurch wird die Wirkung eines jeden nachfolgenden Stimulus enorm verstärkt.

                       Thomas J.Piesbergens Blog

Das bedeutet, je öfter wir eine Stimulierung, eine Erfahrung, eine Empfindung, einen Gedanken wiederholen, desto stärker wird die Übertragung, desto stabiler wird die entsprechende gedankliche Verknüpfung, dieser Effekt ist mitunter ein Leben lang wirksam. Synaptische Verbindung hingegen, die nicht genutzt werden, werden wieder zurück gebildet.

Verstärkt wird dieser Prozess der Routinierung durch die sog. Myelinisierung des Gehirns. Gliazellen umgeben nach und nach häufig genutzte Nervenbahnen und führen dazu, daß die Impulse deutlich schneller übermittelt werden. Dieser Prozess ist erst mit etwa 22 Jahren abgeschlossen. Der Neurologe Manfred Spitzer vergleicht die Myelinisierung mit der Entstehung von Trampelpfaden, von denen zunächst etliche miteinander konkurrieren, doch bald die meist genutzten so bequem ausgetreten und schnell zu begehen sind, daß die anderen nicht mehr genutzt werden, überwuchern und schließlich in Vergessenheit geraten.

So wird unser Gehirn, und damit unsere Erinnerung, durch das geformt, was wir wahrnehmen und durch die Art, wie wir damit umgehen. Das, was wir als unser Ich begreifen, ist also die Summe der gespeicherten Routinen unserer Wahrnehmung und Handlung, ein aktiver Speicher unserer Erfahrung. Und natürlich auch ein Speicher von Bildern.

In der Erinnerung nehmen Bilder eine ganz besondere Rolle ein. Ein wichtiger Aspekt ist, daß sie sich nicht verändern. Sie können immer wieder wahrgenommen und auf diese Weise besonders gut verinnerlicht werden.

Zudem bieten sie für uns Menschen, die wir inzwischen zu einer vorwiegend visuell rezipierenden Spezies geworden sind, einmalige Bezugspunkte für die assoziativen Gewebe, mittels derer wir uns in unserer Wirklichkeit orientieren und verorten, mit denen wir uns in Beziehung zu unserer Umwelt setzen und sie bewerten.

Fast immer gehen die Bilder den Erfahrungen voraus. Bevor wir eine Reise nach Paris, nach London, nach New York, nach Zermatt unternehmen, kennen wir die Bilder vom Eiffelturm, vom Tower, vom Empire State Building oder dem Matterhorn in- und auswendig, denn wir haben sie bereits unzählige male gesehen. Bevor ein Kleinkind eine Kuh, einen Frosch oder einen Traktor gesehen hat, kennt es diese Dinge aus Bilderbüchern.
Bevor der moderne Mensch die Welt kennenlernt, lernt er Bilder von ihr kennen. Und in dem er
Die 06. Ausstellung im Jahresprogramm SPEICHERN | AKKUMULIEREN des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2016

Vernissage
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