GANGARTEN: Verdichtung des Jahresprogrammes  Schalten und Walten  des EINSTELLUNGSRAUM e.V.                                 03.08.2012

Herr Goldoni mochte der Nachwelt erhalten bleiben, auch wenn er persönlich nunmehr in anderen Sphären weilt und schon vor Jahrhunderten das Zeitliche segnete. Nur: Warum sitzt er auf einem Pferd? Man hätte ihn auf seine Bücher, in sein Theater setzen können - das wäre zugegebenermaßen schwer zu meißeln gewesen, wäre aber seiner Berufung näher gekommen. Niemand käme auf die Idee Heine auf ein Pferd zu setzen. Schiller, Goethe - alle stehen mit Schreibfeder in der Hand in ihren Geburtsorten und dichten und denken. Heute noch. Selbst Herr Ackermann käme nicht auf die Idee sich in seinen Maserati zu setzen und dem Künstler zu sagen: Na dann meißeln Sie mal los, gefolgt von der ängstlichen Frage, ob der Künstler auch die funkelnden Radkappen im Blick habe.
Goldoni sitzt auf seinem Pferd. Der italienische Komödienschreiber steckt in einer brachialen Rüstung, sieht in die Ferne und sein Pferd hebt anmutig das rechte Bein. Alle Pferde von allen Reiterstandbildern heben anmutig das rechte Bein. Es ist die Haltung, die ich von unseren Rauhaardackeln kannte. Damals, im Wald, wenn sie eine Fährte aufgenommen hatten, die sie aber keinesfalls verfolgen wollten. Sie 
wollten sie nur aufnehmen. Wichtigtuerisch vor sich hin glotzen. Der Jagdinstinkt war im Laufe ihrer generationsübergreifenden Sofajahre weggemendelt. Nur die Habachtstellung war geblieben.
Damals in Venedig betrachtete ich das Reiterstandbild von Goldoni und fragte mich, warum ein Komödienschreiber in einer Rüstung steckte. Warum die Pferde alle gleich aussahen. Ein Serienpferd, ein Prototyp, den jeder Bildhauer zur Verfügung hatte, nur der Kopf variierte, was den Arbeitsaufwand gering hielt.
Es ist ja ohnehin seltsam zu meinen, ein Reiterstandbild halte den Reiter im Gedächtnis. Die einzige Information, die bleibt ist: Mann auf Pferd. Mann in Rüstung auf Pferd mit  angehobenem Bein. So sahen sie damals aus, die Menschen. Dabei wollte der Abgebildete bestimmt nicht den allgemeinen Menschen hervorheben. So sah ich aus mit Rüstung auf Pferd mit angehobenem Bein. Ein Pizzabäcker sah schließlich ganz anders aus, und besaß auch keine Rüstung.  Vielleicht war es ja auch einfach eine perfide Idee des Komödienschreibers seine Zeit zu ironisieren, indem er sich so darstellte, wie sein einfältiger Regierungschef. Nur die Nachwelt hatte wie immer nichts verstanden.

Sie saß am Fuß des Sockels und aß ihre Pausenbrote.
Let`s meet in an hour at the ass of  the horse, hörte ich den Guide einer amerikanischen Reisegruppe. Die Amerikaner waren schon immer respektloser oder pragmatischer. Dabei war der Treffpunkt schlecht gewählt. In Venedig gab es schließlich viele asses von horses. Die Kathedrale im Hintergrund wäre prägnanter gewesen.
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Fotos der Veranstaltung Ina Schlafke
Auszug aus dem Konzept 03.08.12

Grob gesagt, denken wir dabei an die Wechsel zwischen Schritt, Trab und Galopp der Pferde, die dann den Gängen im Auto oder anderen Fahrzeugen den Namen gaben.

Alle diese Bewegungen, Gangwechsel und die damit verbundene Aufmerksamkeit und Kommunikation, greifen in die "Verkehrsflüsse" ein und bewirken Beschleunigungen und Verlangsamungen bis hin zum Kollaps durch Unfall oder Stau.
Die Aufmerksamkeit, die die Entscheidungen für die Gangwechsel bedingen, ist ja nicht mehr nur vom Gelände und dem Zustand der Straße abhängig, sondern in der Stadt auch von der Beobachtung, d.h. Beurteilung eines sehr komplexen Verkehrsgeschehens, in das sich Menschen, Eigenschaften und Temperamenten entsprechend einschalten.
(...)
Wie orientieren sich Menschen in der Stadt? Wie geschieht das Schalten im eigenen Kopf, das dann (auf welche Weise?) zum ,richtigen' Schalten im Auto führt? "Welche sensorischen und kognitiven Fähigkeiten benötigen wir dafür?" (...)
Die Urform der "Schalte", jener Stab, mit dem der Fährmann das Boot dirigiert, kehrt in abgewandelter Form in allen technischen Weiterentwicklungen von Schaltelementen wieder: Bei der Aufreihung der Zahnräder greift der Stab, der über dem Getriebe liegt, immer das entsprechende Zahnrad heraus, um die gewünschte Kombination aus Geschwindigkeit, Gelände/Kraftaufwand zu realisieren. .... Das Formenrepertoir ähnelt sich. Wie kommen diese Modifikationen zustande?

Elke Suhr, unter Verwendung der Protokolle der Vorstandssitzungen des EINSTELLUNGSRAUM e.V., 2012
 
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek
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