Weltraumfahrt und Kriegstechnologie. Damit bestätigt er nicht nur, dass die technische Möglichkeit von Weltraumflügen die Vorstellung vom Welt- raum okkupiert hat; sondern er lässt im Gegenteil auch anklingen, dass die kosmologische Dimension des Glaubens und die spirituellen Wurzeln des Auferstehungsgedankens zu geschwächt sind, um sich argumentativ gegen die profanen Umstände durchzusetzen, welche die Vorstellungen über das Wesen des Weltalls banalisiert haben. Die technischen Möglichkeiten der Raumfahrt täuschen über die Ideen hinweg, die seit den Anfängen menschlichen Nachdenkens mit dem Kosmos verbunden sind und weit über die tatsächliche Raumfahrt hinausweisen. Aus kultureller und religiöser Sicht ist der Kosmos ein viel weiter gefasster Bereich, der es den Menschen erlaubt, den eigenen Geist über die engen Fesseln des Alltäglichen und die Gesetze der Physik zu erheben und sich auch den über den Kosmos hinausgehenden Sphären zu öffnen, welche z.B. die Mystiker in einer überhimmlischen Ebene des Himmels sahen, der durch Engel bevölkert vorgestellt worden ist. Ihre Flügel waren eine Art Metapher, die, vom hier geöffneten Gebiet des Vogelgesangs aus gesehen, nicht nur auf Fliegen hinweisen, sondern auch auf eine mögliche andere Taktung und Intensität der Lebensrhythmen. Auf diese Ebene sind Schamanismus, die Theorien des Traums, die Suche nach der Erleuchtung durch Drogen, Askese oder Meditation4 mit den mystischen Vorstellungen etwa eines
Ramon Llull verbunden, der mittels der von ihm begründeten Kunst der Kombinatorik mit Buchstaben und Begriffen eine Ebene konstituierte, die mit den Mitteln der Poesie über das Praktische hinaus weist und daran erinnert, dass das physische Weltall lediglich endlich ist, während der Begriff der Unendlichkeit, mittels des menschlichen Erfindungsgeistes erkundet, die physikalischen Grenzen sprengen kann.

Dieser Bezug führt uns zu der zweiten Videoinstallation „Unknown Song“ im Keller des EINSTELLUNGSRAUM. Hier sieht man den Künstler besonnen in die Kamera blickend mit einem Buch auf dem Kopf und einer Feder darüber kreisend. Sie wird durch eine Spieluhr angetrieben, die ein Lied klimpert. Und genau dieser Kopf ist es, der an ein kombinatorisches Bild, den Bibliothekar von Archimboldo, erinnert, das bildlich in der Tradition steht, die auch die optophonetische Poesie beflügelt hat.5 Ein grundlegender Unterschied besteht allerdings darin, dass die Seiten des Buches bei Galeano nach unten fallen, während bei Archimboldo die sich nach oben aufblät- ternden Seiten an die Stelle der Haare treten. Bei Galeano weist die Feder nach oben und wird durch die auf dem Buchrücken stehende Spieluhr zu deren Tönen über seinem Scheitel gedreht. Das Prinzip des Flugs, mithin des Gedankenflugs, weist über das Buch ins All und darüber hinaus.

4 Hauschild, Thomas; Britta Heinrich u.a. (Hg.): Von Vogelmenschen, Piloten und Schamanen.
   Kulturgeschichte und Technologien des Fliegens, Dresden 2011
5 Gustav René Hocke bezeichnete die kombinatorische Dichtung nach Mallarmé als "Neo-Lullismus".
   ders.: Manierismus in der Literatur, Hamburg 1959, S. 56

Dokumentation Andrés Galeano
Vernissage
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