Alles im Fluss? Eine Reflektion
Die Hybris des Hybriden

Versuch einer kulturanthropologischen Betrachtung des Hybridmotors anlässlich der Tagung „Alles im Fluß?“ des EINSTELLUNGSRAUM e.V.s zum Jahresthema „Hybrid“ von Dr. Th. Piesbergen

Das Wort „Hybrid“, das heutzutage in aller Munde ist, und vor allem in den Marketingabteilungen der Automobilindustrie als Label für angeblich zukunfts- weisende Technologie Verwendung findet, hat eine nur unbefriedigend geklärte Herkunft.
Im Römischen Reich bezeichnete man eine Kreuzung zwischen Wild- und Hausschwein als Hybrida und übertrug den Begriff später auf alle Arten von Kreuzungen. Da das Schwein den Römern als Tier der Ceres/Demeter heilig war, könnte der Begriff durch eine mögliche griechische Abstammung geklärt werden, nämlich von dem Wort „Hybris“. Mit dem Terminus der „Hybris“ wird ein Auflehnen gegen das Schicksal und das Gesetz der Götter bezeichnet. Die Kreuzung eines heiligen Tieres mit seinen wild lebenden Verwandten könnte also als ein Akt der Hybris, als ein Verstoß gegen das Gesetz der Götter gedeutet werden.

Diese mutmaßlich ursprüngliche Bedeutung ist heute weitgehend überlagert worden durch eine technisch-dialektisches Verwendung des Wortes: Zwei unterschiedliche Dinge werden in Form einer Synthese zusammengefügt und stellen durch ihr synergetisches Zusammenwirken etwas Neues, „Fortschrittliches“ dar. Doch wie fortschrittlich ist der Hybridmotor wirklich, der der Öffentlichkeit als das Zukunftsmodell schlechthin angepriesen wird? Was bedeutet Fortschritt eigentlich und unter welchen Bedingungen kommt er zustande?
Um diesem Fragenkomplex zu begegnen, möchte ich mich auf eine wegweisende wirtschafts-ethnologische Studie der dänischen Agrarwissenschaftlerin Esther Boserup („The Conditions of Agricultural Growth“, 1965) beziehen. Boserup untersuchte in einer breit angelegten Feldforschung die Entwicklungssprünge der afrikanischen Landwirtschaft und kam zu einem erstaunlichen Ergebnis: technische Neuerungen können bereits lange bekannt sein, doch werden sie erst angewandt, wenn der Populationsdruck sie unabdingbar macht. Die vollzogene Umstellung der Wirtschaft macht es zunächst möglich, daß die Population weiter anwachsen kann

- bis der existentielle Druck wieder so groß wird, daß eine erneute Umstellung notwendig ist, die wie zuvor so lange hinausgezögert wird, wie nur irgend geht. Dieses Phänomen des technischen Konservativismus ist in der Folgezeit durch zahlreiche Studien bestätigt worden (siehe dazu auch Piesbergen, „Der kontextuelle Raum“, Oxford, 2007)*.

Doch ist der Hybridmotor für Pkw nun ein solcher Technologiesprung, der den existentiellen Druck abwenden kann, unter dem die Menschheit angesichts ihrer absurd hohen C02-Emissionen steht? Betrachtet man einen technologischen Standard wie eine Black Box und beurteilt sie nach In- und Output, so muß man konstatieren: Nein. Input (Benzin) wie Output (Bewegungsenergie, Abgas) sind mit denen eines Benzinmotors identisch, sie unterscheiden sich lediglich und kaum aufsehenerregend in der Menge. Es sieht also aus, als wäre der Hybridmotor nichts anderes als eine lebensverlängernde Maßnahme für eine bereits überkommene Technologie, ein Symptom des technischen Konservativismus. An diesem Punkt stellt sich die Frage, worin denn nun dieses Beharren auf einer nicht zukunftsfähigen Technik seinen Ursprung hat?

Esther Boserup sieht aus ihrer ökonomischen und prozessualistischen Perspektive in dem Mehraufwand die Ursache, die jeder technologische Sprung mit sich bringt. Dieser Mehraufwand läßt sich leicht an der Gegenüberstellung von Tafelbild und Power Point-Präsentation zeigen.
Für ein Tafelbild braucht man zunächst ein Stück Kreide und eine Tafel. Beides kann mit überschaubarem Aufwand hergestellt werden. Zur Erstellung des Tafelbildes selbst braucht es wenige Striche, die in kürzester Zeit ausgeführt werden können. Um eine Power Point-Folie zu entwerfen, braucht man zunächst einen Computer sowie einen Beamer, um sie anschließend zu zeigen. Für die Herstellung dieser Geräte ist der Arbeitsaufwand und der Verbrauch verschiedenster hochwertiger Rohstoffe für Laien bereits nicht mehr im nachvollziehbar. Die Gestaltung der Folie selbst ist ebenfalls deutlich zeitaufwendiger, als der Entwurf eines schlichten Tafelbildes.
Betrachtet man das Problem allerdings aus einer modernen anthropologischen, post-prozess-sualistischen Sicht, rückt die kulturelle Bedeutung der Technik, von der man nicht lassen will,  signifikant in den Vordergrund. Denn jede Technologie ist in ein dichtes Netzwerk kultureller Bedeutung eingewoben. Die vielfältigen

*Der Kontextuelle Raum Im Vorderasiatischen Neolithikum: Die Entwicklung der Lehmarchitektur, die Sozio-Ökonomie des Bauens und Wohnens und die kulturelle Organisation des architektonischen  Raums (BAR International Series 1589) by Thomas Johannes Piesbergen, Oxford: Hedges 2007
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