Hier sind Dinge und Symbole mit etymologischem Wissen angereichert, das die Entwicklungsge-schichte von Begriffen reflektiert. Neben der Klärung der Wortbedeutung belegen sie auch die kulturelle Entwicklung, die in den Bezeich- nungen der Dinge abgelagert ist.


III. Etymologie des Bremsens

Die Künstlerin stellt die mit ihrer Bilderschrift aufgeworfenen Assoziationen und Gedanken mit dem Titel "GESPRÄCHSFESSEL" vor und rückt den Ursprung des Begriffs BREMSEN in diesen Zusammenhang. So wird er in die visuelle Untersuchung der assoziativen Entwicklung von Formen einbezogen,  die sodann durch die etymologischen Grundlagen des Begriffs aus dem Wörterbuch von
Friedrich Kluge erweitert werden. Danach ist Bremsen mit dem mittel- niederdeutschen und niederländischen pramen verbunden, das "drücken" bedeutet, und im Westfälischen die (Flachs)presse Prame bezeichnet. Dieser Begriff des Drückens und Klemmens wurde auch für den Maulkorb beziehungsweise die Klemme verwendet, die Arbeitstieren an oder in der Nase angebracht wurde, um sie zu bändigen und zu lenken. Solche premesen (mittelniederdeutsch) oder bremsen (spätmittelhochdeutsch) sind heute etwa bei Pferden durch Trensen und Kandaren mit Gebiss abgelöst worden. Hier wird deutlich, dass Begriffe durch technische Neuerungen entweder verschwinden oder in andere Bereiche übertragen werden. Die Bremse ist dabei von der Nase der Haustiere an die Räder von Wagen und dann an die Radnabe von Motorfahrzeugen gerutscht.

Wenn man diese Bildfolge auf Menschen überträgt, die als einzige Lebewesen Schrift- und Lautsprache gesellschaftlich organisiert haben, erscheinen sie in einer "Wissensgesellschaft" als Schrift- und Sprecharbeitstiere, die eben deren Grundlagen und mithin die des Profits produzieren. Die Verwendung des Wortes "Maulkorb" als Metapher für Zensur unterstreicht dabei geradezu, dass die Entwicklung des Denkens autoritären Lenkungsmaßnahmen unterworfen ist, wie man sie Arbeitstieren aufbürdete.  (Wahrscheinlich ist die Sprachdisziplin in keiner Literatur so stark reflektiert worden wie in der …sterreichischen z.B. durch Peter Handke und Alfred Kolleritsch.) Es wird gefördert, was gefällt und opportun ist. Sobald die Richtung missfällt, wird steuernd eingegriffen. Auch wenn es heute mit Mitteln geschieht, die subtiler sind als Nasenklemmen, weist der menschenfreundliche Staatsbeamte gerne darauf hin, dass das Arbeitstier doch gut im Futter steht. Man führt also weiter an der Nase herum und benutzt dieses Mittel, um Menschen zu gängeln und aufzuhalten. Nicht jeder Journalist wird wegen einer unliebsamen Meinung gleich entlassen, doch kann schon die Drohung, eine Sendung auf einen schlechten Programmplatz zu rangieren, Richtungsänderungen bewirken, die zeigen, dass das Lenken von "Arbeitstieren" in allen Bereichen der Gesellschaft nicht nur sinngemäß auf Menschen übertragenen wurde, sondern auch physisch wirksam ist - was in Redewendungen weiterlebt.

IV. Löcher in der Sprache

Allen hemmenden Maßnahmen zum Trotz entwickeln sich Symbole und Sprachen ständig und vielleicht gerade auch dann weiter, wenn sie unter Druck geraten. Dann gilt es gerade wegen der schwierigen Bedingungen, "Gesprächsfesseln" schneller abzuwerfen als Maulkörbe umgehängt werden. Das ist ein Wagnis, denn wenn ich hier zu Ihnen spreche, bemerken Sie selbst, dass meine Sprache immer dann prekär wird, wenn ich mich Bereichen nähere, in denen sie nicht geläufigen Vorbildern, Vorschriften und Übungen gemäß einsetzbar ist. Das ist besonders der Fall, wenn Künstler nicht dem Hauptstrom, für den schon Sprachregelungen verabredet sind, folgen, sondern einer babylonischen Praxis, die Konventionen ignoriert oder umgeht. Nicht immer trifft man ganz genau den "Kern einer Sache", oft schlägt man Umwege ein, um einem Zusammenhang aus dem Wege zu gehen, statt ihn "einzukreisen" bis man schließlich hineingezogen wird.

Allerdings kann man schreiben, was man will; es bleibt immer ein Rest, der nicht von Symbo-lisierungen zu erfassen ist und weiterhin ohne Repräsentation herumgeistert. Wer schnappt diesen Rest auf? Wer kümmert sich darum? Neben den Schriftstellern sind es immer auch Künstlerinnen und Künstler, die für die Aspekte der Sprache zuständig sind, die in den Bereich der Bildenden Kunst hineinreichen. Doch auch sie produzieren Überschüssiges, das sich der vollständigen symbolischen Erfassung entzieht.


V. Was der Symbolisierung entgeht

Was nicht Symbol wird oder werden kann, wäre als das Asymbolische zu bezeichnen. In der Ausstellung findet man eine Bilderserie mit dem Titel "ASYMBOLIE". Darin spielt Bahlke-Meisel mit fließenden Veränderungen von Symbolen (Morphing). So geht in einer Folge ein Auge in eine Zahnreihe über, die in einem leicht geöffneten Mund zu sehen ist. Horizontal halbiert wird daraus eine Brücke. Werden die Pfeiler auf den Bogen gestellt, bildet sich das Symbol einer halben, also einer unter- oder aufgehenden Sonne. Wird der Kreisbogen gestreckt, breiten sich die Strahlen nicht mehr in alle Richtungen aus, sondern parallel, wobei sie zu den Borsten einer Bürste und, mit einem Stiel versehen, zu einem Besen werden. Dieses Spiel mit Symbolen, aus dem hier nur eine kurzen Folge entnommen ist, verknüpft Bereiche des Alltags mit denen des Körpers, den Sinnen und der Kosmologie, womit die Künstlerin an der Basis der Symbolbildung ansetzt. Obwohl hier, anders als etwa bei den entwickelten Piktogrammen der Chinesischen Zeichenschrift, noch Gegenstände zu identifizieren sind, wird ersichtlich, dass die Ähnlichkeit von Piktogrammen keine logischen Zusammenhänge ergeben, wohl aber poetische Verknüpfungen erlauben, wie sie in der Collage und in der Poesie üblich sind.
Bärbel Bahlke-Meisel: Gesprächsfessel 2008 (Installation)
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