zum Geist, womit die Trennung überwunden und die Einheit von Bewusstsein und Welt, von Innen und Außen trotz ihrer Opposition wieder hergestellt wäre.
Das Innen definiert sich durch das Außen, das Außen durch das Innen, sie gehen ineinander über, wie die scheinbar einander gegenüber liegende Seiten eines Möbiusbandes oder wie die zwei Schlaufen des Unendlichkeitszeichens.

Nachdem sich Jeannette Fabis in ihrem bisherigen Werk intensiv mit den Schnittstellen von Innen- und Außenraum und deren Durchlässigkeit  beschäftigt hat, vertieft sie dieses künstlerische Untersuchungsfeld in ihrer Installation „Gehäuse“ unter den Aspekten der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit.
 
Der Ort ist ein Schaufenster, das explizit dazu dient, etwas sichtbar zu machen. Gleichzeitig stellt das Glas eine Grenze dar, die vorläufige Eigentumsrechte markiert. Allerdings kann diese Grenze mit entsprechenden finanziellen Mittel durchlässig gemacht werden. Das besondere an dieser Grenze ist jedoch, dass sie nicht zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten liegt, dem wir mittels unserer Vorstellung eine Gestalt verleihen, die unseren verborgenen Ängsten oder Sehnsüchten entspricht, und wir uns so wiederum durch das, was wir jenseits der Grenze wähnen, selbst definieren.
Im Gegenteil: Das bestmöglich Sichtbar-Gemachte widersetzt sich solch einer Aneignung, da es keine Leerstellen für unsere Projektionen lässt und nicht umformbar ist. Es verliert, so Byun Chul Han, seine hermeneutische Tiefenstruktur und errichtet eine „Tyrannei der Sichtbarkeit“. Es wirkt sogar umgekehrt auf unsere verborgenen Ängste und Sehnsüchte ein und formt sie so um, dass wir glauben, das so gestaltete Begehren entspräche unseren primären Sehnsüchten, und wir überzeugt sind, wir bräuchten das Gesehene, um unser Selbst zu definieren.

Durch die Reduktion auf Oberfläche und ihre Sichtbarkeit kann das, was jenseits der äußeren Grenze im grellen Licht liegt, nicht dem entsprechen, was im Dunkel jenseits der inneren Grenze liegt. Solange beides im Verborgenen bleibt und wir die Inhalte des dunklen Unterbewusstseins jenseits der inneren Grenze auf das Fremde, Ungestaltete jenseits der äußeren Grenze projizieren können, ist es möglich, die unsichtbaren Inhalte des Inneren und Äußeren in Deckung zu bringen. Zwingt die 
Sichtbarkeit jedoch zu einer Umkehrprojektion, und erhebt das sich selbst Projizierende Anspruch auf totale Objektivität, kann es nur eine vermeintliche Übereinstimmung geben, da nicht wir es sind, die den nur erahnten res extenses eine Form geben, die uns entspricht, sondern es die grell ausgeleuchteten res extenses sind, die sich von außerhalb den res cogitans aufdrängen, sie an sich binden und vorübergehend eine Gestalt aufzwingen, die eine Übereinstimmung von Innen und Außen suggeriert. Diese kann jedoch nur solange erhalten bleiben, bis sie sich durch faktische Aneignung und Überschreitung der Grenze als Illusion erweist.

Das, was Jeanette Fabis hingegen ausstellt, ist kein Objekt, kein Ding, das auf diesem Wege unser kurzfristiges Begehren wecken soll, wie es sonst Dinge in Schaufenster tun. Denn sie stellt jenseits der sichtbar machenden Grenze eine unsichtbar machende Grenze aus. Sie lenkt den Blick explizit auf eine Trennung zwischen unserem Raum und dem, der jenseits des Schaufensters verborgen bleibt. So wie das Schaufenster durchlässig ist, ist auch die ausgestellte und sichtbar gemachte Grenze durchlässig, doch ist ihre Durchlässigkeit subtil. Das einzige, was von der einen zur anderen Seite dringt, sind Lichtpunkte, die jeweils den Raum dahinter erahnen lassen, ihn aber nicht zeigen. Der Raum jenseits der Grenze ist wieder ein Raum des Ungestalteten, offen für unsere Projektionen, womit die Migration der Bilder, die sich sonst vor einem Schaufenster ereignet, in ihrer Richtung umgekehrt wird. Das aus dem Raum dringende Licht, das nichts über den Raum verrät, lässt eine Repräsentation des Raums in unserem Inneren entstehen, die vor allem dem entspricht, was sich jenseits der inneren Grenze, also in unserem Unterbewusstsein abspielt. Nur so ist es möglich, unser Inneres wieder in Übereinstimmung zu bringen mit dem, was uns umgibt, bzw. dass wir uns über das, was wir nicht sind, was wir in unser Unterbewusstsein verdrängen und in die äußere Welt projizieren, definieren.
Erst wenn dieser Austausch von Innerem und Äußerem, dieses Zusammenfallen von den dunklen Bereichen jenseits der inneren und der äußeren Grenze stattfindet, kann der Mensch seine Identität schließlich wieder an der Grenze vom Sichtbaren zum Unsichtbarem entlang modellieren und sich in der Welt beheimatet fühlen, dank des Unsichtbaren, Ungestalteten und Fremden, das uns erst ermöglicht, wirkliche Lebendigkeit zu erfahren.

© Dr. Thomas J. Piesbergen / VG Wort, Dezember 2020
 

Installation
Installation fertig
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