Diesseits und Jenseits der Grenzen - Dr. Thomas Piesbergen zur Ausstellung "Gehäuse" von Jeannette Fabis

Die Ausstellung „Gehäuse“ von Jeanette Fabis  im Rahmen des Jahresprogramms "Sprit + Spirit" ist noch bis zum 18.12. 2020 vor der Galerie des EINSTELLUNGSRAUM e.V. zu sehen.

Die Kategorien des „Innen“ und „Außen“ und ihr essentieller Zusammenhang mit der kulturellen Identität des Menschen sind wahrscheinlich so alt wie die menschliche Kultur selbst.

Noch in den heute beobachtbaren archaischen Kulturen, in denen Mensch und umgebende Natur als in einem kontinuierlichen Kreislauf befindlich gedacht werden, wie z.B. bei den Buschmännern, gibt es trotz der Vorstellung einer kosmischen Einheit eine räumliche Ordnung, die das Innen vom Außen, wenigstens als vorübergehende Erscheinungen, unterscheidet.
Der innere, von Hütten umgebene Kreis der Buschmann-Siedlungen ist dem Feuer und der sozialen Interaktion vorbehalten. Er wird umgeben von einem Ring, in dem gröbere Arbeiten verrichtet werden und Aktivitäten stattfinden, die nicht die ganze Gruppe einbeziehen. Jenseits dieses Rings, außerhalb der Siedlung, erstreckt sich die Welt der „anderen“ Buschmänner, die keinen menschlichen Körper haben, wie z.B. Bäume, Tiere und diverse Naturerscheinungen. Das „Innen“ ist die Welt des Menschen, das „Außen“ die nichtmenschliche Sphäre. Der Bereich dazwischen ist eine Übergangszone.

Kennzeichnend für das Innere ist einerseits das Feuer, eine ursprünglich besonders bedrohliche Erscheinung, die in ihrer gezähmten Form das mächtigste Werkzeug des Menschen darstellt. Entsprechend wird, nach Claude Levi-Strauss, die innere Sphäre des Menschen auch mit dem „Gekochten“ assoziiert, während die äußere, wilde Sphäre mit dem „Rohen“ verbunden wird.
Andererseits ist die innere Sphäre gekennzeichnet durch die Kommunikation, mittels der die Gruppenidentität gestiftet wird. Wer an dieser Kommunikation Teil hat, ist Mensch. So bedeutet auch häufig die Eigenbezeichnung vieler Ethnien schlicht und ergreifend „Mensch“, ein Status, der Zugehörigen anderer Ethnien abgesprochen werden kann.

Da trotz der Trennung in Innen und Außen die Welt als Einheit verstanden wird, gibt es in archaischen Gesellschaften auch immer eine Methode, um die beiden Sphären zusammen zu führen, und zwar durch eine Passage durch das Zentrum des Inneren, den „Nabel der Welt“. In der Regel sind es Schamanen, die sich in ihr eigenes Inneres versenken, in Trance geraten und so Zugang zu den unsichtbaren Kräften haben, die sich in der äußeren Welt verbergen. Diese Transitionen finden an einem symbolischen Mittelpunkt entweder im Zentrum der Siedlung oder des Hauses statt, seltener in der Wildnis, niemals aber in der Übergangszone.
Die Sphäre des Menschen wird also durch zwei Grenzen eingefasst, eine äußere und eine innere, doch im Zentrum des Innenraums berühren sich Innen- und Außenraum und erweisen sich schließlich als identisch.

Mit dem Beginn dessen, was wir Zivilisation nennen, also mit dem Neolithikum, ist die Bedeutung der inneren, ideellen Grenze zum „Unsichtbaren“ zusehends geringer geworden, zugunsten einer zunehmend essentiellen räumlichen Abgrenzung vom Außen. Sie spiegelt sich einerseits in der Wirtschaftsweise wieder, mit der sich der Mensch  von der Natur zu emanzipieren begann, indem er Pflanzen und Tiere domestizierte und sie damit aus der Sphäre der Wildnis in die des Menschen überführte. Andererseits spiegelt sich diese Trennung von „gezähmt“ und „wild“, die gleichbe-deutend mit „Innen“ und „Außen“ ist, in den religiösen Vorstellungen wieder, wie sie z.B. auf den Wandmalereien von Catal Hüyük repräsentiert sind. Die noch kleine Welt des Menschen musste gegen das Wilde, Ungezähmte und Todbringende um ihn herum geschützt werden, ebenso wie die domestizierten Tiere und Pflanzen, in die sich keine Wildformen einkreuzen durften. Gleichzeitig definierte sich die menschliche Sphäre durch eben diese Abgrenzung.
In diese Zeit datieren auch die ersten belegten kriegerischen Auseinandersetzungen der Menschheit, bei denen sich offenbar die wenigen wehrhaften Großsiedlungen und nomadisierenden Gruppen gegenüber standen: die zivilisierten „Menschen“ und die „Wilden“.
In den frühen Hochkulturen schließlich waren die Mauern der Stadt die Grenze zwischen der Welt des Menschen und der fremden Wildnis, wie im über 4000 Jahre alten Gilgamesch-Epos eindrucksvoll dargestellt. Alles, was innerhalb der Mauern stattfand, war zivilisiert und menschlich, alles, was außerhalb der Mauern stattfand, war wild und konnte abqualifiziert werden.
Die 10 Präsentation zum Jahresorogramm SPRIT + SPIRIT 2020

Installation                                                                                                                                                                                                                                        Installation fertig
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