Kurz gesagt, wenn ich hier über die Grenzen der Fakultäten hinweg dilettierend philoso-phiere, nähere ich mich mit dem Begriff des Bremsens einer Welt der Vergänglichkeit. In der Kunst kommt dieser Zusammenhang mit dem Futurismus auf, der die Fortschrittsideen der Moderne aufgreift, deren Horizont aber auf das Unterbewusste, also die Fracht unserer biologischen und kulturellen Vergangenheit, ausdehnt. Die Futuristen trugen maßgeblich dazu bei, dass die Metaphern zur Darstellung von Zeit in der Relativitätstheorie verankert wurden. Weil sie mit dem Geschwindigkeitskult verknüpft worden ist, wird deutlich, warum die Menschen offensichtlich von dem Gefühl berauscht sind, beschleunigend unsterblich zu werden. Das ist bis heute der Mythos des Motorsports, auch wenn real die Lebensgefahr herausgefordert wird. Zwar wird die Relativitätstheorie banalisiert und zur Ideologie gemacht, doch bezeugt ihr Einsatz als Metapher, dass heute Geschwindigkeit mit Macht gleichgesetzt wird, und das Bremsen die Vergänglichkeit besiegelt. Es gilt also auch, diese Erkenntnis umzusetzen, um den Mythos von Macht durch Geschwindigkeit zu durch-brechen und Leben und Tod als die zwei Seiten einer Medaille wieder akzeptieren zu lernen. 

Ein Sprung durch "Ereignishorizonte"
Obwohl wir hier fern der Rennstrecke sind, beanspruchen diese Bilder einen davon abgeleiteten Denkraum, nämlich den der Geschwindigkeit, die wir heranziehen müssen, um die Bilder in ihrer Komplexität zu verstehen und in ihrer Tragweite nachzuvollziehen. Für die Welt der Überschreitung von Grenzen zwischen Zeiten und ihren Materialisierungen, können wir im Orkus des Hauses ein weiteres, wenn nicht das treffendste Beispiel sehen. Dort, im Kellergeschoss des EINSTELLUNGSRAUM, ist eine weitere Trophäe installiert. Die Schichten aus Plexiglas, Foto und Kunststoffmasse sind dort unten im Kriechkeller noch viel eindeutiger als die Objekte hier oben wie ein Vlies aufgespannt, auf dem ein geflügelter Mensch im opaken Lila schwimmend zwischen den vom Kohlestaub geschwärzten Wänden sichtbar wird. Das Bild mit dem Titel "Ereignishorizont" zeigt einen im Wasser schwebenden Menschen, der beim Übergang aus der Luft in das Wasser Luftbläschen wie eine Aura mit sich gerissen hat und im dichteren Element stark abgebremst wird. Die Grobkörnigkeit, die durch die Drucktechnik unterstrichen wird, lässt die Luftbläschen und die Farbverläufe im dunklen Wasser in Pixel auf. Hier kommt das Bremsen als negative Beschleunigung auch als Bildinhalt zum Tragen. Dieser Moment ist ein physischer Bremsvorgang, den wir als momentanes Schweben oder Stillstehen erleben. Versetzen wir uns einmal zurück an einen Sommertag im Schwimmbad, wo ein Kind nicht aufhören kann, Sprünge ins Wasser zu wiederholen, um diese
Sekundenbruchteile des Schwebens in der Luft und den Aufprall mit der Bremsung im Wasser auszukosten. Diese Augenblicke werden als so köstlich empfunden, weil sie einen
Übergang vergegenwärtigen, der ein Anhalten der Zeit suggeriert, der wiederum kein Stillstand ist, sondern eine durch das Erlebnis mental intensivierte Wahrnehmung von Raum und Zeit.
Ich möchte die Phasen, die bei einem Luftsprung ins Wasser durchlaufen werden, der Reihe nach benennen, damit sein elementarer Charakter deutlich wird:
-    Beim Absprung löst sich der Körper vom Boden und tritt in das Element Luft ein.
-   Dort verharrt der Körper zwischen Aufstieg und Fallen einem Moment lang in der Illusion der Schwerelosigkeit.
-    Schließlich taucht der Körper in das Wasser.  Es ist ein Übergang von der Luft in das festere Element Wasser und führt zum augenblicklichen Abbremsen des beschleunigten Körpers.
-    Die Energie des Falls lässt den gebremsten Körper im Wasser noch eine Weile absinken, bis er nach kurzem Verharren am tiefsten Punkt, an dem ebenfalls eine Schwerelosigkeit empfunden wird, wieder aufsteigt.
-    Durch den Auftrieb und die Notwendigkeit wieder zu Atem zu kommen, durchbricht der Körper schließlich den Wasserspiegel abermals, dieses mal in umgekehrter Richtung, vom Wasser in die Luft.


Diese Bewegungsabfolge kann man in eine Kurve fassen, die der springende Körper beschreibt. Wenn er den festen Boden unter den Füßen verlässt, um in die Luft aufzusteigen und von dort ins Wasser einzutauchen, durchfliegt er einen Höhepunkt in der Luft, wo nach einem Augenblick gefühlter Schwerelosigkeit der Körper auf der Wasseroberfläche einschlägt und im anderen Element auf den tiefsten Punkt der Kurve sinkt, um danach wieder aufzutauchen. Der Wasserspiegel wäre damit der Ereignishorizont über und unter dem die Kurve der Beschleunigungen und Abbremsungen verläuft. Doch ist das Bild, das im Moment des Eintauchens unter die Wasseroberfläche aufgenommen wurde, nicht als eine Aufzeichnung physikalischer Vorgänge zu verstehen, sondern ist in seiner Eindringlichkeit durch den Ort im Keller verstärkt. Hier ist ein Flies, auf dem Leben und Sterben abgebildet ist, wie ein Segel aufgespannt. Durch den ins Wasser springenden Körper werden Aufstieg und Fall in einen Bewegungsablauf vereint, der Werden und Vergehen sowie Untergang und Neuschöpfung darstellt. Damit erreichen wir in der letzten Ausstellung zum Jahresthema BREMSEN eine metaphysische Ebene der negativen Beschleunigung, des Bremsens, das Macht über die Zeit durch die Akzeptanz der Vergänglichkeit erlangt.
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Literatur:
Christoph Hoffmann und Peter Berz(Hg.): †ber Schall. Ernst Mach und Peter Salchers Geschossfotografien Göttingen 2001
Jean-Francois Lyotard: Immaterialität und Postmoderne, Berlin 1985


Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirksamt Wandsbek
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