Auch die Entwicklung der Kurzzeitfotografie - bereits 1886 gelang es Ernst Mach und seinem Mitarbeiter Peter Salcher eine Gewehrkugel im Flug zu fotografieren - gab wichtige Impulse, um Augenblick- lichkeiten erfassen zu können. Trotz aller Beschleunigung der Bildpro- duktion verging nach jedem Fotografieren immer noch eine gewisse Zeit, bis die Filme oder Platten entwickelt werden konnten und die Abzüge trocken waren. Die zeitliche Lücke zwischen einem Druck auf den Auslöser und der Verfügbarkeit des Bildes schlossen 1949 das Sofortbild und später die digitale Fotografie. Mit dem Polaroid- Verfahren hatte man den chemischen Prozess gleich auf dem Bild und mit der Erfindung des lichtempfindlichen Chips steht das Bild im Moment der Fotografie auf dem Bildschirm; und es kann versandt, bzw. ausgedruckt werden. Mit jeder dieser Geschwindig-keitssteigerungen der Bildproduktion kam es aber auch zu Gegenreaktionen seitens der Künstler,  die alte Produktionsverfahren aktualisierten.

Pinselspuren und Fotografie
Als die Fotografie die Abbildungsfunktion der Malerei und Zeichnung übernahm, wurde die Malerei frei vom Abbildungsauftrag, und Künstler zogen sie auf einer anderen Ebene in den Wettstreit mit den bildgebenden Technologien:  das Malen wurde beschleunigt. So hat kaum ein Maler so viele Werke geschaffen wie Picasso. Nach der Erfindung des Polaroidbildes stieg Georges Mathieu in den Ring, um vor Publikum innerhalb weniger Minuten mehreren Kilo Farben zu einer abstrakten Komposition zu verarbeiten. Weitere Aufmerksam- keitssteigerungen wurden durch Formatvergrößerungen (z.B. Pollock) erreicht, denen die Fotografie nicht oder wenn dann nur indirekt über Drucktechniken folgen konnte, denn Herstellung und Belichtung von entsprechend breiten Fotopapieren ist teuer und ihre Lichtbeständigkeit begrenzt. Heute hat sich deshalb die Drucktechnik in jeder Beziehung durchgesetzt, weil sie es erlaubt, Fotos in jeder beliebigen Größe herzustellen. Sie merken es: Ich möchte vom Bremsen sprechen und komme unweigerlich auf Beschleunigen und Vergrößerung, die beide den Wettstreit zwischen den medialen Möglichkeiten begleiten.

Hier geht es jedoch immer noch um Bremsen und das Bemerkenswerteste an dieser Ausstellung von Adriane Steckhan ist, dass ich heute zum ersten mal in diesem Jahr an einem Exponat im Einstellungsraum auf Pinselspuren hinweisen kann. Schauen Sie sich die Fotografien hier genau an: sie sind von einer Schicht überzogen, in die sich Spuren von Malerei eingeschrieben haben. Es handelt sich um eine Rückbindung der Fotografie an die Malerei,  die teilweise
technisch begründbar ist; denn Unschärfen, Lichtspuren und
Verwischungen sind durch Langzeitbelichtungen bedingt, weil Steckhan die Aufnahmen bei Dunkelheit aus der Hand gemacht hat. Sie lassen malerische Farbverläufe entstehen, und außerdem durchbricht die Segmentierung der Fotos durch ein Raster aus einzelnen DIN A4-Ausdrucken jede einzelne Aufnahme und lässt an Bildkacheln denken.

Warum also diese Rückverweise? Ist es das Ringen um Anerkennung, an der es der Fotografie gegenüber der Malerei trotz allem immer noch mangelt? Warum reicht es nicht aus, einen Augenblick einzufangen? Ist es banal – selbst dann, wenn ein Foto einem Konzept folgt?
Und ich frage mich zum wiederholten Mal, ob es wirklich etwas geben kann, was den Lauf der Zeit anhält und ob die Fotografie das unterstützt oder ob das die Kunst überhaupt leisten kann?


Kann man Zeit anhalten?

Man sagt, dass man mit dem Betätigen des Auslösers, einem Moment einfängt. Das ist eine Metapher aus der Jagd, womit etwas Archaisches aufgerufen wird, das tief im Kleinhirn hinterlegt ist, und ein gemeinsames Relikt unserer Vergangenheit ist, die wir mit den Tieren teilten.
Doch ist das schon Bremsen?
Ist Jagd nicht vielmehr Beschleunigung?
Die Jagd ist beides, sie kann extreme Langsamkeit erfordern, wenn wir nur an das Anschleichen denken oder die enorme Geduld des Wartens berücksichtigen. Jagd ist alles andere als Raserei. Es ist eine Ökonomie, mit der sich Jäger davor schützen müssen, sich nicht schon vor dem eigentlichen Fang zu verausgaben und es zu riskieren unfähig zu werden, ein Tier zu erlegen. Dieser Zusammenhang wirft auch ein Licht auf die etymologische Bedeutung des Wortes Bremsen, das von dem Nasenpflock bei den Reit- und Nutztieren abgeleitet wurde. Ihnen wurde dieser angelegt, um sie dem Willen der Menschen zu unterwerfen. Und das geschah nicht zuletzt auch deshalb, damit Tiere als Helfer bei der Jagd eingesetzt werden konnten. Damit die Jagden erfolgreich sein konnten, mussten sie in das Konzept des Auflauerns mit einbezogen werden. Deshalb musste die potentielle Beschleunigung der Geschwindigkeitsproduzenten dosiert werden können.
Für die Verbindung von Jagd und Fotografie ist der Fotoapparat, den Etienne-Jules Marey 1882 benutzte, selbstredend; denn das von ihm zur Fotografie des Vogelflugs benutzte Fotogewehr vereint Aspekte des Beute- und Bildermachens.

Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirksamt Wandsbek
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