Diese Charonspfennige, ein Obulus übrigens, also eine nur kleine Summe Geldes, können auch auf die Augen der Toten gelegt werden – mit dem selben Effekt – auch diese Gelder sind für Charon vorgesehen. Aber ich schweife ab, denn um Geld geht es in dieser Ausstellung gar nicht.
Kommen wir zu der Information, die der junge Mann übermittelt, Der Winker schreibt mit seinen Händen nämlich den Satz: Death ain ́t dead, ain ́t it. Und zu genau diesem Satz, bzw. zu dessen deutscher Übersetzung, hat Herr Nidden-Grien Gedichte verfasst – mit durchaus saftig vegetativem Inhalt, also gar nicht angekränkelt und irgendwie todesnah.

Epikur äußerte angeblich folgenden Satz: „Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht. Ist er, bin ich nicht.“ Engberding hat hier eine etwas andere Satzkonstruktion am Wickel, die aber auf ähnliche Art und Weise poetisch grammatikalisch die unfassbare Sauerei – die bekanntlich abgeschafft gehört – thematisiert. Death ain ́t dead, ain ́t it.
Nun, dass der Tod wohl nicht selber tot ist, soweit sind Reinhold Engberding und Epikur einer Meinung, nur dass Engberding hier eine Kommunikationsform, eben das Winkeralphabet, als hypothetische Unterhaltungsform zu etablieren versucht, was Epikur für sich strikt ablehnte.


Der Satz Death ain ́t dead, ain ́t it. richtet sich also womöglich an zweierlei Personenkreise, zum einen an Charon, den Tod und die Götterfamilie als ernstgemeinte Frage, und da die Beantwortung noch eine Weile auf sich warten lassen wird, richtet sich der Text zum anderen auch an die Lebenden als recht mühsame Meditationsaufgabe. (Mühsam nur, weil in existentiellen Fragen, wie im Falle des Sterbens, der oder diejenige mit den einfachen Ansagen, und eben nicht den Fragen, meist den größeren Zulauf hat, was die Sache allerdings nicht richtiger macht.)
Das Winkeralphabet hat sich im nautischen Bereich sehr lange gehalten vor allem aus dem simplen Grund, dass die Nachrichten schwer abzuhören sind, also für Spione ausgesprochen lästig zu entschlüsseln sind. Anders als Funksprüche kann man sie nicht unerkannt abfangen, man muss sich als z. B. feindliche Partei selbst in sichtbarer Nähe der beiden anderen Parteien aufhalten, die eine solche optische Nachricht übermitteln. Was wiederum ein Manko der Wink-Technik deutlich macht, nämlich, dass man sich sehen muss – zumindest der Empfänger muss den Sender sehen. Bei Nebel oder zu großer Entfernung funktioniert das Ganze nicht.
Die Erfindung des Semaphors, also eines „Optischen Telegrafen“, vermochte diese Entfernungs-Schwierigkeit zu überbrücken. So betrieb der Altonaer Kaufmann Johann Ludwig Schmidt zwischen 1837 und 1850 eine optische Telegrafenlinie mit mehreren Stationen von der Cuxhavener Elbmündung nach Hamburg als Schiffsmeldedienst. Man muss sich das vorstellen wie die Rauchzeichen der Indianer, nur als fest gebaute Stangen mit variablen Zeigern, immer gerade in Sichtweite der nächsten Zeiger-Stange aufgestellt.


Und klar: die Unterhaltung mit dem Jenseits, wie hier in der Ausstellung durch das Winkeralphabet angedeutet, ist mit Sicherheit eine sehr persönliche, sie wird sozusagen in Sichtweite abgehalten, sie bleibt schwer abzuhören, lässt sich nicht ausspionieren, und ist vermutlich wertlos, selbst für einen erfolgreichen Spion, weil es sich bei einer solchen Unterhaltung um strikt persönliches Erleben dreht, welches sich nicht massenmedial vermarkten oder sonst wie vervielfältigen lässt. Damit ist das Winkeralphabet hier ein sinniges Bild für Kommunikationsformen, welche sich mopsig machen, die Grenzen unseres Verstandes zu überschreiten.

Pressetext 
Vernissage
Die 09. Ausstellung im Jahresprogramm Park&Ride des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
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