Christine Carstens ... dreh dich noch einmal um ... MOMENT | Installation
28.06. - 14.07.2017
Foto Christine Carstens

Im Keller des Einstellungsraums sehen wir eine Wolldecke, die eine Naturansicht zeigt, beschnitten und auf eine Platte gespannt. Wir wissen: sie hat einmal gewärmt und geschützt, doch nun ist sie zweckentfremdet und nur noch ein Abbild, eine Erinnerung an den Garten Eden. Darauf, unproportional groß, sitzen zwei Schnecken, die ebenfalls aus dem Deckenstoff geformt sind.
Quer über die Decke ist in großen, unbeholfenen Buchstaben das Wort „tempered“ geschrieben. Das Wort wirkt wie der Versuch einer Einordnung, einer Bestimmung des Zustandes der Natur, eine Kontrolle der Interpretation durch eine plakativ aufgebrachte Begrifflichkeit. Doch ebenso unbeholfen wie die Schrift ist auch die Wahl des Begriffs.
Denn das Wort „tempered“ ist alles andere als eindeutig. Tatsächlich wird das Wort im Englischen fast nie ohne Beiwörter verwendet, die den Charakter genauer bestimmen. So kann es als ill-tempered, hot-tempered, even-tempered, well- tempered, bad-tempered etc. nahezu alle Arten von Launen von gutmütig und gemäßigt über griesgrämig bis hitzig und heftig zum Ausdruck bringen.

So scheitert der Versuch, die Natur durch eine Definition ihres Charakters einzu-grenzen und zu kontrollieren auf ganzer Linie. Sie bleibt verschlossen und verbirgt ihr Inneres, wie die auf der Decke applizierten Schnecken.
Auch der Ausschnitt aus der Uferszenerie, die ursprünglich sicher als idyllisch konzipiert gewesen ist, ist so gewählt, daß dunkelbraune Töne dominieren und Schatten den Blick auf Details verwehren. Die Natur verweigert sich dem scharfen, analytischen Blick und verbirgt sich im Vagen, Dunklen und Unscharfen.
Und als kommentiere sie schließlich ironisch den Versuch, sie mit einem Begriff festzunageln, folgt dem Wort „tempered“ auf dem Deckenmotiv eine Reihe heller Punkte, Kiesel oder Lichtreflexe. Wie drei angefügte Punkte im Schriftbild markieren sie die Bestimmung „tempered“ als nicht abgeschlossen und fragwürdig.
Vor der Arbeit auf dem Boden steht ein rotierendes Licht. Es dreht sich unablässig um sich selbst und läßt dabei einzelne, schwache Lichtstreifen über die Uferszene gleiten, die an die abtastenden Lichtstreifen eines Scanners erinnern. In dem nahegelegten Kontext könnte man es lesen als Metapher für einen weiteren männlichen und unzulänglichen Versuch, die entfremdete Natur mit logisch-technischen Hilfsmittel zu überwachen und zu verstehen.

aus:
Demeter sagt: Nein! - Einführungsrede zur Ausstellung "Christine Carstens: ...dreh dich noch einmal um…Moment" von Dr. Thomas Piesbergen, 28.07.2017

Christine Carstens, „tempered“, 2016, Wolldeckenstoff, 2 bezogene Schnecken, Acrylfarbe mehr....

  Die 06. Ausstellung im Jahresprogramm DREHMOMENT des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
 Einführung: Dr. Thomas J. Piesbergen
Vernissage
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