Einfach machen oder das Ausdrücken von Zitronen.
Einführung in die Ausstellung von Lena Buhrmann von Christiane Böhm, M.A., 07.11.2018

Die Formulierung des Einfach Machens hat sich im alltäglichen Gebrauch zu einem beschwörenden Mantra entwickelt. Eine der vielschichtigen Bedeutungsmöglichkeit, die im Einfach machen steckt, zielt auf das zur Tat schreiten, statt im Zögern und (zer-)denkendem Zaudern zu verharren ab. Zwischen dem inneren Drängen, das in einem Gestaltungsbedürfnis kulminiert und der tatsächlichen Handlung - dem Einfach machen’ - befindet sich das Moment der Entscheidung. Es gilt abzuwägen, zu verhandeln und auszuhandeln, welche Konsequenzen bestimmte Vorgehensweisen nach sich ziehen.

Dieses Spannungsverhältnis zwischen Handlungsdrang und Machen lotet Lena Buhrmann in ihrer Einzelausstellung Einfach machen im Rahmen des Jahresprogramms (Keine) Wendemöglichkeit im EINSTELLUNGSRAUM e.V. aus, indem sie das Moment der Ent- scheidung in unterschiedliche künstlerische Ausdrucksformen überführt. Den plastischen Arbeiten, aus Ton gefertigte Halbkugeln mit geriffeltem Kegel, hat die Künstlerin eine Erscheinungsform gegeben, die an Zitronenpressen erinnern und für sie ein Sinnbild sind: „Denn“, so die Künstlerin, „eine Entscheidung zu treffen, ist wie das Auspressen von Zitronen.“

Ist beim Auspressen von Zitronen das erklärte Ziel, an den Inhalt der Frucht zu gelangen, zu dessen Zweck die Zitronenpresse als Hilfsmittel zum Einsatz kommt, indem sie sich in die aufgeschnittene Zitrone hineinquetscht und gleichzeitig ihren austretenden Saft auffängt, so ist eine Entscheidung zu treffen nichts Anderes: Es ist ein «Sich-Ausdrücken», ein Sich selbst-Ergründen und das Wesentliche herausfiltern. Die Zitronen sind folglich wir. Im kreativen Prozess des Machens tritt die Essenz des Tuns im Kunstwerk als künstlerischem Ausdruck – mit dem Bild der Zitrusfrucht gesprochen als deren Saft - zu Tage.
Auch die Fotografie, das zweite verwendete Medium Buhrmanns, ist Träger von Entschei-dungen, indem diese in Form von Bildern visualisiert werden. So sind die Wahl des Sujets, des Bildausschnitts und der Betätigungszeitpunkt des Auslösers Ausdruck künstlerischer Entscheidungen. All diese ausgedrückten Entscheidungen finden sich im Bild wieder. Dass die Fotografie auch ein »ausgedrücktes« Bild sein kann, hat der Philosoph Roland Barthes in seiner letzten, noch zu Lebzeiten veröffentlichten Schrift Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie von 1980 beschrieben. Dort definiert Barthes die Photographie als„[…]: imago lucis opera expressa, das heißt: durch die Wirkung des Lichts enthüllt, «hervorgetretenes», «aufgegangenes», (wie der Saft einer Zitrone) «ausgedrücktes» Bild“.1  In der Photographie enthüllt sich durch die Wirkung des Lichts ein Bild. Das visualisierte Bild setzt Barthes mit frisch ausgepresstem Zitronensaft gleich und verweist somit auf den physikalischen Vorgang hin, der die Fotografie in ihrer klassischen Form hervorbringt und dazu einer technischen Apparatur bedarf.

Die Fotografie und die skulpturale Arbeit, sowie deren Inszenierung in der Ausstellung, sind Ausdruck und Abdruck einer Person: der Künstlerin. Lena Buhrmann drückt ihre künstlerische Haltung zum Einfach machen mittels des Bildes der ausgedrückten Zitrone aus und bezieht somit gleichzeitig eine Position zur Formelhaftigkeit des Einfach Machens in dieser Aus- stellung.
Einfach machen. Das ist sich auszudrücken. Das ist etwas zur Sprache zu bringen oder in Erscheinung treten zu lassen - sowohl für sich, als auch für andere. Diesem Unterfangen stellen sich nicht nur der Künstler und die Künstlerin, sondern wir alle, was  uns immer wieder herausfordert.
Und sollte die Frage aufkommen, was nach dem Einfach machen kommt – so lautet die Antwort: Weiter machen. Einfach weiter machen.


Die 9. Ausstellung zum Jahresprogramm (Keine) Wendemöglichkeit, 2018
1 Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, 15. Auflage, Suhrkamp Verlag 2014, S. 91.
Präsentation
Vernissage
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