aus Island mitgebracht hat und  das sie seit über 10 Jahren bei jeder Ausstellung einsetzt, wobei sie es in seine einzelnen Fäden zerlegt. Aus dieser Sicht sind alle Gegenstände mit einem einzigen Faden verknüpft. Dem Faden der Ariadne gleich, zieht er sich durch Ausstellungs- räume und verbindet in Gestalt der Fundstücke Weltgegenden.
 

4. Dokumente des Vagabundierens
Die Arbeiten sind neben und in ihrer jeweils aktuellen Ausbreitungsweise unter anderem auch Dokumente von Ausstellungen. Sie stellen Räume des Vagabundierens dar. Die Gegenstände sind als Abfall nicht minder Teil der Erinnerungskultur als die in diversen Sammlungen und Magazinen angehäuften Schätze. Fühlen sich nicht Archäologen wie Könige, wenn sie auf prähistorische Abfallhaufen stoßen? Das Material, das auf die Straße geworfen wird, hat im Gegensatz zum Müll, der in Wohnungen oder Industriebetrieben gesammelt und „entsorgt“ wird, etwas Anarchisches und Unkontrolliertes. Seine Ungezähmtheit zeigt sich, wenn einzelne Stücke durch Zerschellen an der Bordsteinkante ihre ursprüngliche Form einbüßen, durch Reifen platt gewalzt oder durch Windböen aufgewirbelt werden.

Walter Benjamin hat in seinem Aufsatz über die Reproduzierbarkeit über die Aura geschrieben, dass sie nicht nur durch die Reproduktion zerstört worden ist, wie es oft verkürzt wiedergegeben wird, sondern die Möglichkeiten der Reproduktion erst die Aufmerksamkeit auf die Aura lenkten. (Ges. Schriften, Frankfurt/M. 1974, Bd. I,2, S. 440ff) Die Reproduktion beeinträchtigt die Aura nicht nur, weil das Werk vervielfältigt an einem anderen Ort auftauchen kann, sondern generell wird der Ort austauschbar, der mit einem Bild identifiziert wird, welches dort als angestammter Besitz hängt. Ist ein Fresko etwa in einem Palast oder ein Standbild auf einem Platz ziemlich fest situiert, so verlieren diese Orte ihre Kraft, wenn die Kunstwerke durch Kriege, Raubzüge oder Revolutionen zerstört werden. Die kulturellen Zerstörungen sind ja meist verheerender als die materiellen, denn sie treffen das Gedächtnis und damit die Identität einer Person oder eines Gemeinwesens. Deshalb sprach Benjamin ja auch von der „Zertrümmerung der Aura“. Die Reproduktion wird also zum Spezialfall von schon immer möglichen kulturellen Gewaltausübungen. Was wir hier über uns sehen, sind die Reste, die uns vermehrt um die Ohren fliegen, seit die Möglichkeiten der Reproduktion mit der Erfindung der Fotografie und der anderen Medien sich in stetiger Entwicklung befinden. Die neben den Material- und Menschenpartikeln auf New York hernieder regnenden  Blätter und Zettel stellten nur einen eindrucksvollen Kulminationspunkt eines solchen Crashs dar, der schon in der x-fach wiederholten Explosion, mit der Michelangelo Antonioni seinen Film „Zabriskie Point“ enden ließ, visuell präfiguriert war. 

Die industrielle Produktion von Gegenständen und Bildern hat ja die massenhafte Existenz solcher Gegenstände und die Möglichkeit ihrer Distribution erst geschaffen. Boten im 20. Jahrhundert die unter Bomben in Trümmer und Asche fallenden Städte ein bis dahin unvorstellbares Maß der Zerstörung, so wird die vergleichsweise geringe Menge von 1,2 Millionen Tonnen zerkleinerte Materie von 2 Gebäuden und 2 Flugzeugen samt der darin befindlichen Menschen durch mediale Multiplikation zu einem unübersehbaren Feld der Fragmentierung, des Leidens und der Traumatisierung. Bisher gültige ästhetische Maßstäbe wurden damit überboten. Um Metaphern zu finden, müssen wir deshalb kosmische Maßstäbe anlegen. In solchen Zusammenhängen ist wohl die Akribie begründet, mit der Bromma nicht nach fertigen Produkten sondern nach Fragmente sucht, die sie in ihren Installationen auffliegen lässt.

Sie müssen nicht Benjamin lesen, denn das Thema, über das er als Philosoph nachgedacht hat, steckt uns allen in den Knochen. Seit die Maler die ersten Fundstücke in ihre Bildern einfügten, beginnt diese Arbeit mit Versatzstücken, also mit den Trümmern der Reproduktionsindustrie. Warum war wohl das Erste, was Picasso in 1912 in ein Stillleben collagierte, kein echtes Bastgeflecht, sondern dessen Nachbildung auf einem bedruckten Wachstuch? Künstler sind seit dieser Zeit nur noch bedingt Schöpfer, sondern werden zu Dokumentaristen. Seit ihnen die Maschinen die Aufgaben der Reproduktion abgenommen haben, sammeln sie Zeugs und lassen es um sich kreisen und auf ihre Werke niedergehen. So wie Materie sich um eine Galaxie oder eine Sonne ballt und sich dann als Spiralnebel oder Sonnensystem strukturiert, so werden Objekte und Materialien arrangiert und in den Kosmos eines Werks eingewoben. Diese strukturierende Arbeit ist eine Arbeit in andauernder Bewegung, eine Strukturierung des Chaos. Die Beschleunigung und die Ortlosigkeit kann nicht gestoppt werden, sie ist nicht rückgängig zu machen, aber sie wird abgebremst, sie wird vorübergehend in Bahnen gelenkt, Ideen und Vorstellungen bekommen eine temporäre Struktur, eine Erkennbarkeit. So wie in dieser Ausstellung das Transitorische ein paar Tage lang verortet wird, so entstehen immer wieder Inseln der Übersicht und der Einsicht, um uns wie schwimmende Seezeichen bei der Überfahrt zu einer nächsten Station als Orientierung zu dienen.

Der Blick materialisiert sich in gewisser Weise. Die Konzentration bringt das Dokument eines Zustands hervor, wirft ein Schlaglicht darauf, eine Einsicht entsteht, die ein Foto konservieren kann oder einen Text provoziert. Dabei entsteht etwas, das sich vorübergehend verorten lässt auf unserer Bahn zwischen den Sternen. Und: Neben den gegenwärtigen Dingen sind außerdem die Gegenstände beteiligt, die man sich gemerkt hat.

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