Andreas Bromba, Modernes Stilleben, New York
Drei Aspekte spielen in seinem gesamten Werk und vor allem in der ausgestellten Konzeptserie, die sich, wie sein weiteres Schaffen, weitgehend der Stadtphotographie widmet, eine besondere Rolle, auf die ich im Folgenden näher eingehen möchte.

Kehren wir zunächst zurück zu der Metapher der Musik. Eine Kakophonie, ein häßlicher, unangenehmer Klang wird in der Regel erzeugt durch eine Dissonanz, also das Zusammenklingen von Tönen, die nach unserem Empfinden unstimmig sind und einer Auflösung bedürfen. Legt man mehrere Melodien übereinander, entsteht fast immer unmittelbar der Eindruck eines unerträglichen Durcheinanders, der Eindruck des Lärms, selbst wenn jede dieser Melodien für sich genommen als schön empfunden wird.

Im diesem Sinne sucht Bromba nach Details, nach einzelnen Motiven, die, befreit aus dem Zusammenhang der großen Kakophonie und den übermächtigen Vektoren urbaner Bewegungen, ihre eigene, stille Melodie entfalten können. Er sucht nach Details, die ihre eigenen Geschichten in sich zu tragen scheinen. Und wie zu erwarten sind diese Details selten Repräsentanten der offiziell zur Schau gestellten „Oberflächen“ der Städte.
Es sind Einzelheiten, die sich dem ökonomisch verwertbaren Mainstream entgegensetzen, Einzelheiten, die von den Menschen erzählen:
Eine Bananenschale, auf der offenbar jemand ausgerutscht ist.
Eine Figur auf einem Steinrelief, der jemand eine Blume in die Hand gedrückt hat - mit welchem Hintergedanken?
Ein leerer Waschsalon, in dem man die Phantome der Menschen zu spüren vermeint, die dort sonst gemeinsam ihre schmutzige Wäsche waschen.
Andreas Bromba, Gefahr überall, Polen.

Diese Details werfen Fragen auf und regen unsere Vorstellungskraft an. Wir beginnen zu imaginieren, wie diese Details zustande gekommen sind, welche Menschen die gezeigten Orte aufgesucht haben oder aufsuchen werden, was dort geschehen ist oder geschehen wird. Auf diesem Weg wird das Individuum aus der anonymen Masse der urbanen Statisten gerettet. Sein Leben, seine eigene Wirklichkeit darf sich behaupten und es wird nicht mit allen seinen Leidensgenossen zu einer gesichtslosen form- und kontrollierbaren „Bevölkerung“ degradiert.

Ein weiterer Aspekt, der den Austritt aus den funktionalen Bewegungen des urbanen Getriebes erlaubt, ist der Verfall.
Der Verfall macht Dinge nutzlos, öffnet ihnen aber gleichzeitig einen poetischen Raum, ganz im Sinne der Poetik von Günther Kuhnert, für den sich die Poesie dadurch auszeichnet, das sie gleichzeitig nutzlos und sinnvoll ist.
Dinge werden durch den Verfall ihrer eigentlichen Funktion beraubt, bleiben aber dennoch bestehen und sperren sich durch ihre bloße Anwesenheit gegen die Konzepte der Optimierung. Sie lösen sich aus dem Getöse und der großen Bewegung und stehen uns als Solitäre gegenüber. Die Gedanken stoßen sich an ihnen, verweilen bei ihnen.
Ihre offenkundige Vergänglichkeit erinnert uns an die Vergänglichkeit aller Dinge und relativiert so die Bedeutung von den immer nagelneuen Ikonen des Fortschritts und des modernen urbanen Lebens, die selbst umso ephemerer sind, je enger sie an Mode und Zeitgeist geknüpft sind.

Andererseits kann der Verfall Dinge auch auf eine Art und Weise verwandeln, daß sie eine andere, überraschende Gestalt annehmen und nicht mehr als funktionale Elemente in der großen Stadtmaschine, sondern als eigenwillige, ästhetische Objekte betrachtet werden können. So wird z.B. ein auseinander gefallenes Regenrohr, gehalten von unsichtbaren Drähten oder Kabeln, zu einer luftigen Installation, der man durchaus die Intention eines Künstlers unterstellen könnte.

Andreas Bromba, Stilles Leid, Kaliningrad
Ein weiterer, zum Verfall scheinbar gegenläufiger Aspekt in den Bildern von Andreas Bromba sind die Kinder, die immer wieder zu sehen sind.


Sie werden nicht gezeigt in plakativen, zeichenhaften Situationen, wie sie ganz im Sinne einer Stadtmarketing-Agentur wären. Wir sehen keine lachenden Kinder auf nagelneuen Spielplätzen, keine lachende Kinder in Vergnügungsparks, keine lachende Kinder mit Eistüten vor gläsernen Fassaden, keine lachende Kinder vor einer postkartentauglichen Skyline.
Wir sehen sie vielmehr in kleinen, beiläufigen Szenen, die zunächst kaum signifikant erscheinen mögen, die aber, sobald man sich in die eigene Kindheit versenkt, zusehends an Tiefe gewinnen.


Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek 
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