Autonome Körper im Farbdickicht - Dr. Thomas Piesbergen über die Ausstellung „Data Valuta“ von Benedikt Brockmann
Die Ausstellung "Data Valuta" findet statt im Rahmen des Jahresthemas "Autonom?" in der Galerie des Einstellungsraum e.V.

Der Begriff der Autonomie, also die individuelle Eigengesetzlichkeit, betritt die Bühne der Geistesgeschichte erstmals mit der Figur der Antigone in der gleichnamigen Tragödie des Sophokles. Und in Antigone und ihrem individuellen Drama zeigt sich bereits der vollstän-dige Bedeutungsinhalt des Begriffs. Seine Wurzeln liegen jedoch in der vorangegangenen soziopolitischen Entwicklung Athens während der Perserkriege unter Themistokles, aus der schließlich die Demokratie hervorgegangen ist.
Der Kulturwissenschaftler Karl-Martin Dietz schreibt dazu: „Der zunächst völlig unwahr-scheinliche Sieg gegen die persische Übermacht, die die Stadt Athen existentiell bedrohte, hat offensichtlich dort den Sinn für eine 'innere Freiheit' geweckt, die in den orientalischen Großreichen unbekannt war.“ Dementsprechend unterschied Themistokles die Griechen von den Persern vor allem anhand ihres Freiheitsgrades: Während die Perser sich den stets wechselnden Launen ihrer Herrscher unterwerfen mussten, ordneten sich die Griechen ausschließlich den Gesetzen unter. Der Begriff der Autonomie wurde zunächst entsprechend nur auf die Polis, die sich selbst Gesetze gibt, angewendet.
Gut vierzig Jahre nach der Schlacht von Salamis machte Sophokles mit seiner Antigone den entscheidenden Schritt, den Begriff der Autonomie auch auf das Individuum anzu-wenden; er wurde also dahingehend ausgeweitet, dass er auch die Auflehnung des Einzelnen gegen die Gesetze einer Gemeinschaft einschließt, also die individuelle Eigengesetzlichkeit.
Seitdem wird unter Autonomie, wie Adorno es formuliert, die Kraft zur Reflexion und zur Selbstbestimmung verstanden. Diese beiden Charakteristika setzen wiederum zwei andere Sachverhalte voraus:
Das eine ist das Selbstbewusstsein, das die Voraussetzung zur Reflexion ist. Das zweite Charakteristikum ist die Handlungsmotivation, also der Wille, der der Selbstbestimmung notgedrungen vorangehen muss. Dazu schreibt Immanuel Kant:
Autonomie des Willens ist die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst (...) ein Gesetz ist.“

Graben wir an dieser Stelle tiefer, stellt sich die Frage, was denn aber nun die Voraussetzungen für Willen und Selbstbewusstsein sind. Diese Fragen können wir heute durchaus befriedigend von den Neurowissenschaften beantworten lassen. Nach Antonio Damasio kann es weder Handlungsmotivation noch Selbstbewusstsein ohne einen organischen Körper geben.

Der Körper des Menschen besteht aus etwa 100 Billionen kooperierender Zellen und jede dieser Zellen lebt nach dem Grundprinzip der Homöostase. Darunter versteht man das zentrale Bestreben aller lebendigen Systeme einen gedeihlichen Gleichge-wichtszustand herbeizuführen und zu wahren. Dazu wiederum ist die Vermeidung von Verletzungen und die Sicherung des Fortbe-stehens notwendig. Diese beiden Notwendigkeiten liegen allen weiteren Lebensfunktionen zugrunde.
Im Falle höheren organischen Lebens wirkt die Homoöstase sowohl auf der Ebene der individuellen Zellen, als auch auf der Ebene ihrer Summe. Man kann die Homöostase also durchaus mit Schopen-hauers Primat des Willens gleichsetzen und in ihr die ursächliche Handlungsmotivation des Lebens an sich sehen.
Als wichtiges Werkzeug der biologischen Evolution entwickelte sich bereits in ihrer Frühphase die Sinneswahrnehmung. Denn um Homöostase zu erreichen, ist es für Organismen notwendig, Reize aus der Umwelt aufzunehmen, gleichzeitig aber des eigenen Zustands gewahr zu sein und schließlich diese Informationen aus Innen- und Außenwelten zu einem Ganzen zusammenzufügen. Diese beiden Wahrnehmungs- richtungen sind bereits für die einfachsten Bakterien nachgewiesen.
Präsentation                                                                        
Vernissage
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