Dr. phil. Thomas J. Piesbergen

Das Spiel der Widersprüche

Einführungsrede zu einer Ausstellung von Yann-Vari Schubert und Carsten Benger im Einstellungsraum zum Jahresthema „Hybrid“, 14.10.2010


Der erste Gedanke Carsten Bengers zu dem Jahresthema „Hybrid“ lautete: „Da kommen plötzlich Dinge im Kopf zusammen, die sonst nicht zusammengehören.“
Der künstlerische Blick, den es bei der Ausstellung „Installationen“ von Yann-Vari Schubert und Carsten Benger nachzuvollziehen gilt, richtet sich also nicht auf die synergetischen Aspekte des Hybriden, sondern auf den Gegensatz und die Widersprüchlichkeit seiner Komponenten.

Diese Perspektive, die Unvereinbares oder Entgegenwirkendes als Ausgangspunkt eines Gedankenganges nimmt, ist so alt wie die europäische Geistesgeschichte selbst. Bereits die Vorsokratiker betrachteten die Welt als das Ergebnis eines Wechselspiel von Gegensätzen innerhalb einer unteilbaren Einheit. Für Thales war die Opposition des Sichtbaren und des Unsichtbaren von zentraler Bedeutung („In allem wohnen die Götter“), nach Anaximander hatten alle Erscheinungen ihre Ursache in dem Wechselspiel von „Heiß“ und „Kalt“ und Parmenides stellte der Welt der ephemeren Erscheinungen eine statische, untrennbare Wirklichkeit entgegen.
Zenon von Elea, ein Schüler und Apologet des Parmenides, den Aristoteles als den Begründer der Dialektik bezeichnete, versuchte durch paradoxe Gedankenexperimente die Lehren seines Meisters zu untermauern. Eine besondere Rolle spielte Parmenides´ Diktum, alle Bewegung seien Illusion. Zenon illustrierte es mit dem berühmten Pfeilparadoxon, das die Unvereinbarkeit der Beobachtung von Qualität (Bewegung) und Quantität (Verortung) zum Gegenstand hat: Wenn ein Pfeil sich von A nach B bewegt, nimmt er während seines Fluges verschiedene Positionen, also fest definierte Räume ein. Wenn er sich aber an einer definierte Position befindet, kann er nicht in Bewegung sein, denn „Das Bewegte bewegt sich weder in dem Raume, in dem es ist, noch in dem Raume, in dem es nicht ist.1

Zenon gebrauchte dieses Paradoxon allerdings nicht, um die Existenz unauflösbarer Gegensätzlichkeiten als Notwendigkeit der Realitätsbeschreibung zu postulieren oder um es in Form einer Synthese aufzulösen, sondern um Parmenides´ Idee der illusorischen Natur der Bewegung zu verteidigen.

Die dialektische Methode, die sich in der Folgezeit unter dem Einfluß von Sokrates, Platon und Aristoteles als Königsweg des methodischen des Denkens etablierte, geht davon aus, daß sich durch das sorgfältige Abwägen von Gegensätzen (These und Antithese), eine übergeordnete Wahrheit finden lassen kann, die den vermeintlichen Widerspruch auflöst (Synthese). Über das Phänomen unvereinbarer Gegensätze urteilte Platon: „Offenbar ist doch, dass dasselbe nie zu gleicher Zeit Entgegengesetztes tun und leiden wird, wenigstens nicht in demselben Sinne genommen und in Beziehung auf ein und dasselbe.2“  
Diese Denkweise, die keinerlei Antinomien, also einander widersprechende Gesetzmäßigkeiten  toleriert, hat sich durch die Zeiten als unanfechtbares Paradigma bis in das 20. Jahrhundert erhalten. In der Mathematik wird sie mit dem Terminus des Boole´schen Kontexts bezeichnet, im Volksmund als Entweder-Oder-Prinzip. Antinomien wurden demzufolge seit Antike bis in die Neuzeit aus dem Diskurs verdrängt oder als scheinbare Gegensätze verstanden, die durch Synthesen überwunden werden können. Erst Immanuel Kant ging in seiner Kritik der Reinen Vernunft wieder auf das Problem der  Antinomien ein, führte sie aber auf fehlerhaftes Denken zurück, auf das irrige Wirken der Vernunft ohne Anschauung.

In der Mathematik wird sie mit dem Terminus des Boole´schen Kontexts bezeichnet, im Volksmund als Entweder-Oder-Prinzip. Antinomien wurden demzufolge seit Antike bis in die Neuzeit aus dem Diskurs verdrängt oder als scheinbare Gegensätze verstanden, die durch Synthesen überwunden werden können. Erst Immanuel Kant ging in seiner Kritik der Reinen Vernunft wieder auf das Problem der  Antinomien ein, führte sie aber auf fehlerhaftes Denken zurück, auf das irrige Wirken der Vernunft ohne An- schauung.


Der erste Philosoph, der der Antinomie eine Existenzberechtigung einräumte, war ausgerechnet der unumstrittene Hohepriester der synthetischen Methode und Wegbereiter des Deutschen Idealismus Georg
Wilhelm Friedrich Hegel.

 Vernissage 1 Ršd, W.: Die Geschichte der Philosophie Band I, MŸnchen 1988, S.145
2
Platon: Pol. 436 b 8Ð9

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